Jubiläumstagung von Mehr Demokratie in Fuldatal

von Regine Laroche

25 Jahre Mehr Demokratie. Anlass zum Feiern, mit alten und neuen Weggefährten. Aber auch zum Innehalten: Was hat der Verein bisher geschafft? Und was liegt noch vor ihm? Und besonders: Bei welchen Themen wollen die Menschen mitentscheiden, welche Themen bewegen sie – wo schlägt ihr Herz? Diese Fragen standen im Zentrum der Jubiläumstagung des Vereins, die vom 14. bis zum 16. Juni in Fuldatal bei Kassel stattfand. Auf dem Programm der Tagung standen mehrere Rednerinnen und Redner, eine spannende Podiumsdiskussion und Gesprächsrunden der knapp 150 Teilnehmenden untereinander.

(Gruppenfoto von Teilnehmenden, die unseren Demokratiekeks in die Luft halten)

Tag 1 (14. Juni)

Den Anfang machte am Freitagabend Susanne Wiest, Grundeinkommensaktivistin und Spitzenkandidatin der Piratenpartei Mecklenburg-Vorpommern für die Bundestagswahl. Sie berichtete, wie sie zur Grundeinkommensaktivistin wurde und welche Erfahrungen sie mit ihrer Petition zum bedingungslosen Grundeinkommen machte. Diese Petition zwang zeitweise wegen des hohen Ansturms von Zeichnungswilligen die Server des Bundestags in die Knie und brachte der Tagesmutter eine Welle von Einladungen in Talkshows und zu Gesprächsrunden. Anschaulich beschrieb sie ihren Weg durch die Instanzen, den sie auf der Suche nach den eigenen politischen Einflussmöglichkeiten zurücklegte. Sowohl in ihrem Vortrag als auch in der anschließenden Diskussion wurde die mögliche Ausgestaltung eines solchen Grundeinkommens thematisiert. Hierüber gab es im Publikum durchaus unterschiedliche Meinungen, aber genau diese Diskussion über die Ausgestaltung wolle sie erreichen, betonte Susanne Wiest. Ihre Auffassung: Das Grundeinkommen soll kein „Geschenk“ der Parteien an die Bevölkerung sein, sondern vielmehr ein gemeinsam entwickeltes Instrument, das durch den Diskurs entsteht, von vielen Menschen durchdacht wird und dann seine Umsetzung erlebt – in einem bundesweiten Volksentscheid.

Slideshow zur Jubiläumstagung (-> direkt auf Flickr anschauen...)

Auch Johannes Stüttgen, Künstler und Gesellschafter des OMNIBUS für direkte Demokratie, schloss mit seinem Vortrag über „Die Geldfrage als Schlüsselfrage der Demokratie“ an die Idee des Grundeinkommens an. Sein Anliegen: die Demokratisierung des Geldwesens, „denn Wirtschaft, Kredit und Einkommen sind Themen der Demokratie, das Gemeinwesen muss darauf Einfluss nehmen können“. Er forderte dazu auf, das Geld zu befreien von der Überfülle an Aufgaben, die ihm das aktuelle Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zuweise. Geld sei weder eine Ware noch ein Mittel zur Entscheidung darüber, wie Menschen leben sollen. 

Tag 2 (15. Juni)

Der nächste Morgen begann mit der aktuellen Bundeskampagne „Volksentscheid – bundesweit!“. Sarah Händel von Mehr Demokratie Baden-Württemberg stellte die geplanten Aktionen vor und ging besonders auf die Arbeit der Wahlkreisaktiven ein, die während der Kampagne Menschen in ihren Wahlkreisen über den Volksentscheid informieren und auch an die Kandidierenden für den Bundestag herantreten, um sie zu ihrer Einstellung zur direkten Demokratie zu befragen. Der erste Vortrag des Tages kam von Herta Däubler-Gmelin, Bundesjustizministerin a.D. Sie hatte sich die Frage „Was ist politische Macht – begrenzte Vollmacht oder führt sie zur Ohnmacht der Bevölkerung?“ gestellt und beantwortete sie unter anderem am Beispiel der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik  – besonders aktuell wegen der mündlichen Verhandlung zur Eurorettungspolitik vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, die wenige Tage zuvor stattgefunden hatte. Das Projekt Europa, so beschrieb Herta Däubler-Gmelin, sei durch das Wegbrechen demokratischer Grundpfeiler in Gefahr. Die Verlagerung von Souveränitätsrechten auf demokratisch nicht legitimierte EU-Institutionen wie den ESM höhle das Wahlrecht der Bürger/innen aus. Anhand der Begriffe Vollmacht und Ohnmacht führte sie aus, wie aus ihrer Sicht politische Macht in einer Demokratie zu organisieren sei.

Video-Geburtstagsgrüße von Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft


Für Gerald Häfner, ehemaliger Vorstandssprecher von Mehr Demokratie und nun für BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN im Europaparlament, stand ebenfalls das Thema „Demokratie in Europa“ im Mittelpunkt. „Demokratie und Europa decken sich derzeit nur teilweise“, so seine Feststellung, aus der er den Appell begründete, sich um Europa und um die Ausgestaltung des Rechts auf europäischer Ebene zu kümmern. Wir seien gleichzeitig Bürger/innen von Regionen, von Nationalstaaten und eben auch von Europa - dieses Bewusstsein müsse wachsen. Gleichzeitig müsse klar sein: Die Bürger/innen in Europa müssen das erste und das letzte Wort haben, beispielsweise durch einen direkt gewählten europäischen Bürgerkonvent.

Im weiteren Verlauf des Tages standen die Themen „Neue Technologien“ und „Energiewende“ auf dem Programm. Zunächst sprach die Biologin, Umwelt-Aktivistin und Mitbegründerin der Heinrich-Böll-Stiftung Christine von Weizsäcker darüber, wie politische Diskussionen um Technologien manipuliert werden können und zog daraus Anregungen dafür, wie eine gute demokratische Debatte, auch im Vorfeld von Volksabstimmungen, geführt werden könne. Anschließend ging es in einer Podiumsdiskussion mit Stefan Taschner, Sprecher des Berliner Energietisches, Henning Banthien, Geschäftsführender Gesellschafter IFOK, Hanns-Jörg Sippel, Geschäftsführung Stiftung Mitarbeit und Christine von Weizsäcker um die "Energiewende mit den Bürger/innen!". In dieser Diskussion wurden verschiedene Aspekte der Energiewende aufgegriffen. Sie sei auch eine soziale Frage, einmal im Zusammenhang mit den Strompreisen, aber auch in der Frage, wofür und wie viel Energie wir eigentlich in Zukunft verbrauchen wollen. Hervorgehoben wurde in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Kommunen, die eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielten, weswegen auch die Stärkung der lokalen Bürgerbeteiligung wichtig sei.

Den Abschluss des Tages übernahm der Foodwatch-Gründer Thilo Bode. Er berichtete über die Verflechtung von Nahrungsmittelindustrie und Regierung und wie sie dazu führt, dass es bis heute beispielsweise keine Ampel auf Verpackungen von Lebensmitteln gibt. Die Ampel signalisiert auf Verpackungen von Lebensmitteln, wie groß der Nährstoffgehalt des Produkts ist. Verbraucherinnen und Verbraucher wollen laut Umfragen von Foodwatch diese Orientierungshilfe. 

Tag 3 (16. Juni)

Den letzten Vortrag der Tagung hielt am Sonntag der in Dresden lehrende Politikwissenschaftler Werner Patzelt zum Thema „Volksabstimmung – von oben oder unten?“. Seiner Auffassung nach sind Instrumente, die von „oben nach unten“ wirken, also von der sogenannten politischen Klasse an das Volk herangetragen werden, falsche Instrumente. Von oben angeordnete Volksabstimmungen seien häufig ein Versuch, die Bevölkerung zu manipulieren und um die Verantwortung für unliebsame Entscheidungen abzugeben. Echte plebiszitäre Instrumente wirkten in die andere Richtung, als Themensetzung und Auftrag der Bevölkerung an ihre gewählten Vertreter/innen. Die Menschen sollen punktgenau und zielsicher Einfluss nehmen können – auch bei Finanzthemen. Abschließend gab es noch einmal Raum für den persönlichen Austausch. In Kleingruppen erzählten sich die Teilnehmenden - Gründungsmitglieder von Mehr Demokratie, neuere Mitglieder des Vereins und Menschen, die dem Verein verbunden sind - ihre persönlichen Herzensanliegen in Bezug auf die direkte Demokratie und auch ihre „demokratischen Schlüsselerlebnisse“. Die Tagung machte deutlich: Viel wurde erreicht in den letzten 25 Jahren, mehr und mehr werden die Mittel der direkten Demokratie selbstverständlich. Und es gibt noch Einiges zu tun: Der bundesweite Volksentscheid soll Eingang finden in den derzeitigen Bundestagswahlkampf und danach in die Koalitionsverhandlungen. Zum Abschluss der Tagung trugen die Teilnehmer/innen ihre Wünsche für die Zukunft des Vereins zusammen: Das Thema direkte Demokratie in Europa soll eine wichtige Rolle spielen, ebenso viele andere „Demokratiebaustellen“, wie die Rekommunalisierung von Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge oder auch die Verteidigung von Bürgerrechten. Auch wurde der Wunsch geäußert, dass der Verein wieder mehr Volksbegehren zu bestimmten Sachfragen von sich aus starten solle.

Es gibt also einige Projekte: Die nächsten 25 Jahre können kommen!

Die Jubiläumstagung wurde finanziell von der Stiftung Mitarbeit unterstützt.

Redner/innen & Podiumsteilnehmende


Auf unserer Jubiläumstagung gab es mehrere Referent/innen, die zu verschiedenen gesellschaftspolitischen Themen gesprochen haben. Bitte klicken Sie auf das jeweilige Foto, um mehr zu erfahren:

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