Italienische Proteste und Beppe Grillo

In den letzten Monaten gehen immer mehr Bürger auf die Straße um Wut und Ärger einen Ausdruck zu verleihen. Bürgerengagement und Proteste sind jedoch keine neue Erscheinung im öffentlichen Leben: 2007 hat der italienische Komiker Beppe Grillo eine politische Protestbewegung ins Leben gerufen, an der sich zwei Millionen Bürger beteiligten. Viele Experten glauben, dass diese Bewegung die Erste war, die durch soziale Medien und Blogs mobilisiert worden ist. Wir haben mit Micaela Bracciaferri gesprochen, die in der Pariser Gruppe 'Les Amis de Beppe Grillo à Paris' mitwirkt.

Können Sie uns die Bewegung von Beppo Grillos vorstellen?

Beppo Grillo ist als Komiker und Schauspieler bekannt geworden. Nach einigen Jahren sind seine Werke jedoch immer politischer geworden. Nun ist er ein einflussreicher Blogger und Aktivist. Er hat mehrere nationale sowie internationale Kampagnen angeführt.
Im Jahr 2007 hat er zu einem Protesttag aufgerufen, welcher im Zeichen des 'V' stand. Das 'V' steht dabei für drei italienische Ausdrücke, nämlich 'vendetta', 'vengeance' und 'vaffanculo'. Frei übersetzt bedeutet es: „Ihr könnt uns mal!“. Im Laufe der Protestaktion hat Beppe Grillo die Namen von über 20 Politiker veröffentlicht, die eine Vorstrafe besitzen. Bei den meisten Straftaten handelt es sich um Korruption oder Steuerhinterziehung; manche Politiker sind sogar wegen der Anstiftung zum Mord verurteilt. Zudem hat Beppe Grillo beantragt, alle Politiker mit einem Eintrag im Vorstrafenregister von ihrem politischen Amt zu entfernen. Der Protesttag wurde von 2 Millionen Menschen unterstützt.
Der Protest wurde 2008 wiederholt und hat die mangelnde Pressefreiheit thematisiert. Die italienischen Medien werden zum großen Teil vom Staat unterstützt und arbeiten deswegen nicht unabhängig. Beide Kundgebungen waren ein großer Erfolg! Viele Experten glauben, dass diese Proteste die Ersten waren, die durch soziale Medien und Blogs mobilisiert worden sind.

Das ist ein spannender Start! Wie hat sich die Protestbewegung weiterentwickelt? Hat man aktiv am politischen Geschehen teilgenommen?

Aber ja! Im Laufe der Proteste präsentierte Beppe Grillo die „Liste a cinque stelle“ (Liste der fünf Sterne). Die Sterne leiten unser Programm und stehen für die Bereiche Umwelt, Wasser, Entwicklung, Transport sowie die Verbundenheit aller Bürger untereinander.
Die Bewegung stellte sich 2009 erstmals in den Gemeindewahlen. Die Kandidaten mussten folgende Bedingungen einhalten: er/sie dürfte nicht Mitglied einer anderen Partei sein sowie keine Vorstrafe besitzen. Zudem musste der Kandidat in der Gemeinde gemeldet sein und durfte im Vorfeld höchstens eine Legislaturperiode im Parlament gewesen sein. Auf diese Weise wollen wir eine echte Bürgerbewegung gewährleisten. Der Kandidat muss keine politische Karriere vorweisen; wir wollen den einfachen Bürger fördern, der sein Wissen und seine Ideen der Gemeinde zur Verfügung stellen möchte. Außerdem ist die Bewegung bedacht, keine Steuergelder zu verschwenden: Wir verzichten auf die Kostenerstattung, mit welcher der Staat normalerweise Ausgaben für Wahlkampagnen begleicht.

Hat die Bewegung an weiteren Wahlen teilgenommen?

Im Jahr 2010 hat Beppe Grillo die Bewegung der fünf Sterne ('Movimento 5 stelle') gegründet, um nochmals die fünf Bereiche zu verdeutlichen: Umwelt, Wasser, Entwicklung, Transport sowie die Verbundenheit aller Bürger untereinander. Beppo Grillo hat dabei betont, dass er nicht der Anführer sein möchte; stattdessen sollen Bürger, die ihre Ideen und Projekte miteinander teilen und verwirklichen, gefördert werden und die Bewegung leiten.
Die Bewegung der fünf Sterne nahm 2011 an den regionalen Wahlen teil. Wir sind stolz einen großen Erfolg erzielt zu haben! In zahlreichen Regionen, insbesondere im Norden Italiens, haben unsere Kandidaten die drei Prozent Hürde erreicht und sind ins Parlament eingezogen. Einige Kandidaten konnten sogar zehn Prozent der Wählerstimmen gewinnen. Somit sind wir nun in einigen Räten die drittstärkste Partei hinter den wichtigsten Koalitionsparteien, die seit 17 Jahren die Macht inne halten. Das ist eine große Leistung!
Trotzdem verfolgen wir nicht das Ziel, die Mehrheit der Wählerstimmen zu gewinnen. Unser Ziel ist es, dass unsere Bewegung in jeder regionalen Vertretung repräsentiert wird. Auf dieser Weise kann unser Netzwerk am regionalen Politikgeschehen teilhaben und so die Bürger besser informieren. Da die Bewegung erst vor einigen Jahren gegründet wurde, ist es wichtig, dass wir nun nachhaltig wachsen und reifen.

Das Wahlergebnis ist in der Tat ein großer Erfolg! Wie engagieren Sie sich persönlich in der Bewegung?

Da ich in Paris lebe, gehöre ich der Gruppe 'Les Amis De Beppe Grillo à Paris' an. Die Gruppe wurde für Bürger gegründet, die sich austauschen und gemeinsame Projekte und Aktivitäten planen möchten. Seit unser Gründung im Jahre 2007 haben wir mehr als 200 Veranstaltungen, Konferenzen und Debatten zum Thema Demokratie organisiert. Wir dienen zudem als Bindeglied zwischen der italienischen Bevölkerung in Paris und der Bewegung der fünf Sterne; jedoch verwirklichen wir auch eigene Projekte.
Darüber hinaus engagiere ich mich stark zum Thema der öffentlichen Wasserversorgung. Wasser ist lebensnotwendig. Wir vertreten die Meinung, dass Wasser ein gemeinnütziges Gut ist; dies ist in den Menschenrechten verankert. Daher sollte Wasser auch nicht dem wirtschaftlichen Profit dienen. Dennoch gab es in Italien Pläne die Wasserversorgung zu privatisieren. Dies hat viele Bürger und uns verärgert. Unsere Kampagne 'L'acqua non si vende' beabsichtigt, diese Pläne zu verhindern. Wir haben im Laufe der Kampagne zu diesem Thema ein Referendum initiiert, welches im Juni statt gefunden hat. Mit einer überragenden Mehrheit von 95% haben die Bürger gegen die Privatisierung der Wasserversorgung gestimmt. Ein großer Erfolg, aber der Kampf ist noch nicht endgültig beendet. Wir planen ein Netzwerk auf EU Ebene. Überall in Europa muss Wasser ein öffentliches Gut bleiben!
Die Kampagne hat viele Mitstreiter in Paris. Ich bin Sprecherin dieser Gruppe. Es war wichtig die in Frankreich lebenden Italiener zu erreichen, da sie am Referendum teilnehmen konnten. Das italienische Gesetz verlangt eine Wahlbeteiligung von 50% damit ein Referendum gültig ist. Aufgrund dessen ist es wichtig, so viel Bürger wie möglich im Ausland anzusprechen.
In Paris wurde die Wasserversorgung vor einigen Jahren privatisiert, jedoch hat man diese Entscheidung schon wieder korrigiert: Paris kehrte zur öffentlichen Wasserversorgung zurück! Dieses Beispiel untermauerte unser Bestreben und so konnten wir viele Unterstützer gewinnen.
Außerdem ist die öffentliche Wasserversorgung nicht nur ein Anliegen Italiens, sondern betrifft jeden anderen Staat. Daher kann man auf internationale Bemühungen nicht verzichten!

Am Anfang des Jahres fand in Berlin ein Volksentscheid zum Thema Wasserversorgung statt. Eine überwältigende Mehrheit von 92% hat sich für stärkere Transparenz ausgesprochen. Wasserversorgung ist in der Tat ein europaweiter Brennpunkt!
Bürgerbeteiligung scheint ein entschiedenes Merkmal der Bewegung zu sein; der europäische Sommer wird oft durch eine verstärkte Bürgerbeteiligung charakterisiert. Können Sie Parallelen zwischen der Bewegung des Beppe Grillos und den europäischen Protesten ziehen?

Ja, ich glaube, dass unsere Bewegung und der europäische Sommer im gewissen Maße Ähnlichkeiten aufweisen. Natürlich spielt das Stichwort Bürgerbeteiligung eine große Rolle. In beiden Fällen geht der alltägliche Bürger auf die Straße um seine Forderungen geltend zu machen. Zudem haben wir vergleichbare Anliegen. Die spanischen Demonstranten fordern wirtschaftlichen Aufschwung, Transparenz und direkte Demokratie.
Die Bewegung von Beppe Grillos beabsichtigt ebenfalls eine stärkere Demokratie. Beispielsweise fordern wir eine Reform des Wahlrechts. Im Moment gibt der Bürger seine Stimme einer Partei und nicht einem Kandidaten. Wir sehen diesen Prozess als falsch an! Politiker sollten für die Bürger arbeiten und nicht für ihre Partei. Aus diesem Grund möchten wir das Wahlrecht so verbessern, dass der Bürger mehr Einfluss auf die Wahl der Kandidaten hat.
Es gibt dennoch Unterschiede zu der spanischen Protestbewegung. Obwohl Beppe Grillo nicht der Anführer unserer Bewegung ist, stellt er eine Leitfigur da. Die spanischen Demonstrationen sind anders organisiert; es gibt keine Symbolfigur. Trotzdem sind wir alle Bürger, die sich in der Politik beteiligen und mitbestimmen wollen. Dieser Gedanke vereint beide Bewegungen!

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview wurde von Vanessa Eggert geführt.

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