Bürgerräte machen Gesprächsräume auf
Seit 2019 gab es in Deutschland insgesamt sieben bundesweite Bürgerräte. Diese wurden teilweise aus der Zivilgesellschaft heraus durch Verbände organisiert, in zwei Fällen aber auch durch Bundesministerien und in einem Fall durch die Universität Stuttgart.
In ihrem 2021 geschlossenen Koalitionsvertrag hat die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP vereinbart, Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren“ zu wollen. Seit Herbst arbeitet im Bundestag ein Aufbaustab Bürgerräte an den Vorbereitungen dazu. Der erste von drei bis 2024 geplanten Bürgerräten wird im September 2023 beginnen.
Diese Entwicklung ist auch ein Erfolg von Mehr Demokratie. 2019 und 2021 haben wir mit den von uns zusammen mit Kooperationspartnern organisierten Bürgerräten zu Demokratie und „Deutschlands Rolle in der Welt“ gezeigt, dass und wie Bürgerräte funktionieren. Dies hat eine breite Mehrheit der Bundestagsabgeordneten ebenso überzeugt wie die Bundestagsverwaltung.
Mit dem Instrument des Bürgerrates lassen sich auch Fragen von bundespolitischer Bedeutung in einem diskursiven Format mit Bürgerinnen und Bürgern erörtern und Lösungsvorschläge erarbeiten, lautet die Kernaussage einer Auswertung des Bürgerrates „Deutschlands Rolle in der Welt“ durch die Bundestagsverwaltung. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas will Bürgerräte zur regelmäßigen Praxis machen.
Auf unserem Informationsportal Buergerrat.de finden Sie eine Übersicht der bundesweiten Bürgerräte in Deutschland.
Bundesweite Bürgerräte werden offiziell - Mehr Demokratie spielt dabei eine entscheidende Rolle
Ein Bericht von Anne Dänner und Roman Huber
Ein Demokratie-Edelstein im schlichten Gewand
Die bis zu drei aktuell geplanten Bürgerräte finden im Auftrag des Bundestags statt und werden per Beschluss des Bundestags im Plenum eingesetzt. Der Auftrag VOM Bundestag geht mit einem Auftrag AN den Bundestag einher. Denn die Empfehlungen haben zwar keine „Bindungswirkung“. Aber der Bundestag wird sich offiziell mit den Vorschlägen befassen. Das ist ein Demokratie-Edelstein im schlichten Gewand. Es macht einen großen Unterschied, ob ein Bürgerrat nur wohlwollend begleitet und wahrgenommen wird oder ob die Ergebnisse dann auch eine Bundestags-Drucksache werden und in Ausschuss-Sitzungen beraten.
Die Evolution kommt leise
Interessant ist: Der Wandel findet Schritt für Schritt und ohne großes Getöse, Skandale, Brüche, Schlagzeilen statt - keine krachende Revolution mit Siegern und Verlierern, sondern eher ein langsamer Evolutionsprozess. Andererseits geht es sogar ziemlich schnell. Seit unserem ersten selbstorganisierten bundesweiten Bürgerrat sind nicht einmal vier Jahre vergangen. Der damaligen Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hatte die Schirmherrschaft über die ersten beiden Bürgerräte übernommen. Seine Nachfolgerin Bärbel Bas hat das Thema wie selbstverständlich auch auf ihre Agenda genommen. Unzählige Gespräche, Begegnungen und die Teilnahme von Abgeordneten an einem der bisherigen Bürgerräte haben stattgefunden. Weltweit und auch in den deutschen Gemeinden und Bundesländern ist eine regelrechte Bürgerrat-Welle zu beobachten.
Welche Rolle spielt Mehr Demokratie?
Mehr Demokratie ist für die Kraft und Wahrnehmbarkeit dieser Welle mit verantwortlich. Wir haben die ersten beiden Bürgerräte zusammen mit Partnern angestoßen und organisiert und den dritten (Bürgerrat Klima) beraten und begleitet. Wir machen intensive Öffentlichkeitsarbeit zum Thema, mit eigener Webseite und Kanälen in den sozialen Medien, und versorgen eine dreistellige Zahl von interessierten Journalisten mit Informationen. Wir sind im Austausch mit professionellen Durchführungsinstituten, wissenschaftlichen Stellen und anderen Akteuren im Beteiligungsbereich, beraten Initiativen aus dem gesamten Bundesgebiet und teilweise auch international.
Warum das Ganze? Wir wollen qualitativ hochwertige Bürgerräte auf der Bundesebene etablieren, weil wir sie für ein wichtiges Demokratieinstrument halten. Wir wollen, dass Bürgerräte mittelfristig institutionalisiert werden, dass sie also nicht nur vereinzelt stattfinden, sondern auch gesetzlich verankerter Teil des demokratischen Systems in Deutschland sind. Wir wollen, dass die repräsentative Demokratie ergänzt und gestärkt wird. Jetzt um bundesweite Bürgerräte, perspektivisch auch um bundesweite Volksabstimmungen.
Wir haben uns beworben…
Aus unseren Zielen und aus den Erfahrungen und Kontakten erwächst eine Verantwortung: Wie können wir am besten dafür sorgen, dass das Instrument wirklich gut und stark wird? Es gibt mehrere Wege das zu erreichen. Einer davon ist, die Etablierung von außen kommentierend und einordnend zu begleiten. Ein anderer ist, in die intensive Zusammenarbeit mit dem Bundestag zu gehen und unser bisher gesammeltes Wissen dort zur Verfügung zu stellen.
Mehr Demokratie hat sich nach intensivem Abwägen entschieden: Wir wollen den zweiten Weg ausprobieren. Nicht auf Dauer, sondern für die Phase der Etablierung. Auch, wenn das ganz neu ist für uns als Verein und neben vielen Chancen auch Herausforderungen mit sich bringt. Wir haben uns deshalb in einer Bietergemeinschaft (mit den Beteiligungsinstituten IFOK, nexus und IPG, sowie der Sortition Foundation als Unterauftragnehmer) für die Durchführung der ersten drei offiziellen bundesweiten Bürgerräte beworben. Mit unseren Partnern, mit denen wir bereits bei den ersten Bürgerräten gute Erfahrungen gesammelt haben, bieten wir ein Gesamtpaket an. Am 31. März 2023 hat die Bundestagsverwaltung bekanntgegeben, dass sie unsere Bietergemeinschaft mit der Durchführung des Bürgerrates "Ernährung im Wandel" beauftragt.
So lief das Bewerbungsverfahren
Ausschreibung durch den Bundestag im Januar 2023 mit detaillierten Anforderungen für die Bieter.
Zu den Vergabeunterlagen gehörte z.B. eine 40 Seiten umfassende Leistungsbeschreibung und ein „Preisblatt“, in dem genau anzugeben ist, was die Bietergemeinschaft für jeden einzelnen Posten kalkuliert.
Es gab die Möglichkeit, „Bieterfragen“ zu stellen. Das heißt, alle, die sich bewerben wollten, hatten im Zeitraum von ein paar Wochen die Möglichkeit, beim Auftraggeber Rückfragen zu stellen. Die Antworten auf diese Rückfragen wurden allen anderen Bietern auch zur Verfügung gestellt.
Die meisten Aufgaben können wir mit der Bietergemeinschaft selbst abdecken, einiges wie z.B. Übersetzungen in „Leichte Sprache“ müssen von uns an externe Anbieter vergeben werden.
Unser Angebot haben wir in einer 20-seitigen Konzeptskizze ausführlich beschrieben und mit einer detaillierten Kalkulations-Tabelle ergänzt. Alle anderen Bieter haben das auch gemacht. So konnte sich der Bundestag ein Bild davon machen, wie viel die Durchführung mit einem bestimmten Anbieter kosten würde und was dieser Anbieter im Detail zur Verfügung stellen kann.
Es gibt genaue Bewertungskriterien für solche Ausschreibungen. Dabei kommt es neben dem Preis auch auf eine ganze Reihe weiterer Qualitäts-Faktoren an. Welcher Aspekt wie hoch gewichtet wird, ist im Voraus genau festgelegt.
…und wir haben es geschafft!
Gut vier Wochen haben wir an der Bewerbung gearbeitet. Seit dem 20. März 2023 steht fest: Wir haben den Zuschlag! Das bedeutet: Wir können Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge direkt einbringen. Mehr Demokratie wird die gemeinsame Durchführung organisieren. Wir sind zuständig für die Anbindung an den Bundestag und für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in Zusammenarbeit mit dem Bundestag. Zugleich wollen wir mit unseren Partnern dafür sorgen, dass noch mehr Menschen, die sich sonst politisch nicht so stark einbringen (z.B. mit niedrigen Bildungsabschlüssen) erreicht werden. Wissen soll möglichst anschaulich und allgemeinverständlich vermittelt werden. Es sollen noch mehr Politikerinnen und Politiker und eine breitere Öffentlichkeit an den Erfahrungen eines Bürgerrates teilhaben.
Wow! Das ist Neuland. Das ist ein Wagnis. Aber wer nichts wagt, kann auch nichts gewinnen.