Bürgerräte zur Klimakrise

Der Klima-Bürgerrat in Frankreich tagt im April 2020 das letzte Mal. Das Ziel: Vorschläge zu formulieren, wie Frankreich seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent reduzieren kann. Präsident Macron verspricht ein Referendum über die Empfehlungen der „Citoyenne“.

 

Ein Update von Thorsten Sterk und Anne Dänner

"Dieser nationale Konvent wird, wenn er gut funktioniert, der Erste in einer Reihe von Konventen zu anderen Themen sein. Das Format soll zu einer dauerhaften Struktur unserer Demokratie werden.“ Diese vielversprechende Ankündigung machte der französische Ministerpräsident Edouard Philippe beim Auftakt des ersten französischen Bürgerrates.

Das Thema des erwähnten Bürgerrats: Klimaschutz. An sieben Wochenenden bis April 2020 tagen die 150 ausgelosten Mitglieder. Eine internationale Delegation, der auch Mehr Demokratie angehört, war beim 6. Wochenende dabei und beeindruckt von der aufwändigen Organisation: Neben einem Stab von „Faktencheckern“ aus der Wissenschaft stehen den Bürgerinnen und Bürgern zum Beispiel auch Gesprächspartner zur Verfügung, die mit kritischen Nachfragen dafür sorgen, dass die Vorschläge der Gelosten auch wirklich umsetzbar und fundiert sind.

Bürgerräte werden immer häufiger zur Bewältigung der Klimakrise einberufen. Ausgangspunkt ist der Eindruck, dass die bestehenden demokratischen Instrumente zur Bewältigung der Klimakrise nicht ausreichen und Parlamente viele Bevölkerungsgruppen wie Frauen oder junge Menschen nicht ausreichend repräsentieren.

Zum Problem des Lobbyismus kommt noch hinzu, dass Politikerinnen und Politiker oft nach wohlwollender Berichterstattung streben und vor unpopulären Maßnahmen zurückschrecken. Nicht nur von der Bewegung Extinction Rebellion werden daher Bürger:innenversammlungen zum Klimaschutz gefordert – in Deutschland gibt es Initiativen auf Länder-, Kommunal- und Bundesebene wie „Klimanotstand Berlin“ oder „Klimamitbestimmung jetzt“ und auch Abgeordnete wie Marco Bülow, die geloste Bürgerräte als sinnvolles Instrument zur Bekämpfung der Klimakrise sehen. Mehr Demokratie prüft derzeit mit Partner-Organisationen, wie ein Bürgerrat Klimaschutz auch für Deutschland funktionieren könnte.

Konsens durch Bürgerräte

Bürgerrats-Fans argumentieren, dass durch dieses Demokratie-Instrument ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber hergestellt werden kann, welche Maßnahmen sinnvoll und für eine Mehrheit der Menschen tragbar sind. Bei einem Bürgerrat würden teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger durch Expertinnen und Experten beraten. In Diskussionen in Kleingruppen könnten sich die Ausgelosten eine Meinung bilden. Am Ende würden Sie Empfehlungen an die Politik formulieren, die diese dann im besten Falle umsetzt.

Vorreiter Großbritannien

Besonders aktiv bei der Nutzung von Bürgerräten sind britische Kommunen. Vorreiter war hier der Londoner Stadtteil Camden, dessen Stadtrat sich am 7. Oktober 2019 einstimmig den Vorschlägen des dortigen Bürgerrates für kommunale Klimaschutz-Maßnahmen angeschlossen hat. Zu den 17 Vorschlägen gehört u.a. das Montieren von Solarmodulen auf so vielen Häusern wie möglich, der Bau von mehr Radwegen, autofreie Zonen und Tage, ein Pilotprojekt für ein kommunales Heizungsprogramm und die Einrichtung eines Klima-Notfall-Prüfungsausschusses, der sich aus Experten und Bewohnern zusammensetzen soll.

Ähnliche Bürgerräte gibt es in Brent, Brighton and Hove, Croydon, Devon, Lambeth, Lancaster, Leeds, Luton, Newham, North of Tyne, Oxford und Sheffield. Wie in Frankreich tagt in Großbritannien seit Januar 2020 ein nationaler Klima-Bürgerrat. Ebenso sind für 2020 in Dänemark, Schottland und Spanien solche Bürgerversammlung zum Thema Klimapolitik geplant.

Irland, das mit seiner Citizens‘ Assembly bzw. deren Vorläuferin Constitutional Convention, zum Musterbeispiel für gelungene Bürgerräte geworden ist, war auch beim Klimathema vorne dabei. Bereits 2017 fand dort ein Bürgerrat zum Klimawandel statt, der weitreichende Maßnahmen zum Klimaschutz empfahl.

Die Mitglieder der Citizens Assembly stimmten zu 80 Prozent oder mehr für die 13 Empfehlungen. Dazu gehörten Vorschläge wie die Schaffung einer neuen Regierungsstruktur, um die Klimapolitik in den Mittelpunkt der Politikgestaltung zu stellen. Auch gab es Mehrheiten für die Erhöhung der irischen CO2-Steuer und der Besteuerung der Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft, die Irlands größter Verursacher von klimaschädlichen Gasen ist. Mitte 2019 mündete die Arbeit der Bürgerversammlung in einen Klimaaktionsplan, mit dem Irland seine Emissionen zwischen 2021 und 2030 um 30 Prozent senken will.

Referendum in Frankreich

Der Klima-Bürgerrat in Frankreich tagt im April 2020 das letzte Mal. Das Ziel: Vorschläge zu formulieren, wie Frankreich seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent reduzieren kann. Präsident Macron hat versprochen, alle Bürgerinnen und Bürger in einem Referendum über die Empfehlungen der „Citoyenne“ abstimmen zu lassen. Außerdem sollen Bürgerräte zur ständigen Einrichtung werden und sich auch mit anderen Themen befassen.

Macron bedauerte bei einem Treffen mit den Bürgerrat-Mitgliedern auch, den Klima-Bürgerrat nicht früher einberufen zu haben. „Ich habe mir Ihre Debatten angehört und sie hätten mir geholfen, einige Probleme bei der CO2-Steuer vorauszusehen“, sagte er. Der Präsident räumte ein, einen Fehler bei der CO2-Steuer gemacht zu haben. „Ich habe deren soziale Auswirkungen nicht nur auf die Ärmsten unterschätzt, sondern auch auf Menschen, die weit entfernt von ihrer Arbeit und ihren Schulen leben und unter allen möglichen Einschränkungen leiden. Sie können mir dabei helfen.“

„Neue Formen der Demokratie erfinden“

Auch der der französische Politikwissenschaftler Loic Blondiaux hält Bürgerräte für unbedingt notwendig. „Wir müssen neue Formen der Demokratie erfinden, das ist unerlässlich. Die repräsentative Demokratie hat gut funktioniert: Heute ist sie dazu nicht mehr in der Lage“, sagte er zum Start der Convention Citoyenne. „Unsere Demokratien stehen vor einer Klimakrise, die gefährden könnte, dass sie Demokratien bleiben.“

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