(Foto by William Murphy | Quelle: Flickr | Lizenz: CC BY-SA 2.0)
Die Iren haben beim Verfassungsreferendum letzte Woche Freitag (25.5.) direktdemokratisch entschieden, dass der 1983 eingeführte und 1992 ergänzte Artikel 40.3.3 der Verfassung geändert und Schwangerschaftsabbrüche zukünftig unter bestimmten Bedingungen möglich sein sollen.
by Charlie Rutz
66 Prozent der Abstimmenden waren für die Verfassungsänderung. „Dies ist der Tag, an dem Irland seinen letzten dunklen Schatten abwirft. Der Tag, an dem wir erwachsen geworden sind“, sagt der irische Premierminister Leo Varadkar. Mit der Volksabstimmung wurde eine der strittigsten gesellschaftlichen Fragen geklärt, die Irland lange beschäftigt hatte. Damit hat das Land bereits 39 Abstimmungen über Verfassungsfragen erlebt.
Irland ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie umstrittene Themen gemeinsam mit der Bevölkerung diskutiert und entschieden werden können. Eine per Losverfahren bestimmte und repräsentative Bürgerversammlung hatte dem Parlament den Vorschlag gemacht, den Verfassungszusatz abzuändern und ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das Abtreibungen erlaubt. Das Parlament schloss sich dem Vorschlag an, so dass es zu diesem verbindlich vorgeschriebenen Verfassungsreferendum gekommen ist. Damit wurden die Iren in vorbildlicher Weise gleich in mehreren Schritten an der Verfassungsgebung beteiligt. Mustergültig ist zudem die unabhängige Referendum Commission, die für die Bekanntmachung und Erläuterung der Abstimmung zuständig ist.
Die Bürger/innen konnten somit ihre vor 35 Jahren getroffene Entscheidung nochmals auf den Prüfstand stellen. Im Jahr 1983 hatten nach einer intensiven Kampagne der katholischen Kirche mehr als zwei Drittel der Bürger/innen dafür gestimmt, Schwangerschaftsabbrüche oder die Hilfeleistung dabei mit bis zu 14 Jahren Gefängnis zu bestrafen, sofern nicht das Leben der Mutter gefährdet ist. 1992 wurden – ebenfalls per Volksentscheid – Reisen ins Ausland und Informationen zu Verhütung und Schwangerschaftsabbrüchen straffrei gestellt.
In Irland gehören Volksentscheide zur politischen Routine. Auch in der Schweiz und den meisten US-Bundesstaaten sind Referenden bei allen Verfassungsänderungen zwingend vorgeschrieben. In anderen EU-Mitgliedstaaten fanden einzelne Volksabstimmungen zu Verfassungsfragen statt. In Deutschland gibt es die sogenannten obligatorischen Verfassungsreferenden nur auf Länderebene, in Hessen und in Bayern.
Mehr Demokratie fordert, die Bürger/innen auch auf Bundesebene abstimmen zu lassen. „Die große Koalition hat eine Expertenkommission zur Demokratiereform angekündigt“, erklärt unser Vorstandssprecher Ralf-Uwe Beck. „Wir brauchen Abstimmungen über Verfassungsänderungen und vor allem auch aus der Bevölkerung heraus initiierte Volksbegehren und -entscheide auch in Deutschland.“
Hintergrundinformationen
In Irland tagte seit 2012 ein vom Parlament einberufener Verfassungskonvent, bestehend aus 33 Mitgliedern aus der Politik, 66 Mitgliedern aus der Zivilgesellschaft und einem unabhängigen Vorsitz. Aufgabe des Konvents war es, über wesentliche Verfassungsfragen zu diskutieren und dem Parlament Vorschläge dazu zu unterbreiten. 2016 setzte die neu gewählte Regierung mit der sogenannten Citizens‘ Assembly eine vergleichbare Versammlung ein: 99 repräsentativ und per Zufallsauswahl ausgewählte Bürger/innen berieten über grundsätzliche politische Fragen – unter anderem das im 8. Verfassungszusatz geregelte Thema Schwangerschaftsabbruch.
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