Bericht vom Weltsozialforum 2007 in Kenia

Roman Huber, Geschäftsführer von Mehr Demokratie, berichtet über das Weltsozialforum in Kenia.

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Ich möchte euch vom Weltsozialforum (genaueres unter www.wsf2007.org) in Kenia / Nairobi berichten. Das Forum ist bereits vorbei, aber während der riesigen Veranstaltung war kaum Zeit, ein Internetcafe zu besuchen, vor allem, weil man am Abend auch nicht ohne weiteres in Nairobi durch die Strassen schlendert. Ab ca. 19:00 Uhr ist hier alles dicht und kaum jemand unterwegs... 

Es wird kein objektiver und mit dem nötigen Abstand verfasster Bericht sein. Ich möchte euch meine Eindrücke, Gefühle und Gedanken so schildern, wie ich sie hier erlebt habe, auch wenn es teilweise ein wenig widersprüchlich ist. Das ist ein Teil des Erlebens hier: Ein hin und her gerissen sein zwischen Faszination, Betroffenheit und manchmal Ärger, wenn etwas überhaupt nicht klappt. 

Ein bisschen schräg ist es schon, hier in Ostafrika bei über 30 Grad im Internetcafe des Providers Safaricom (ja wirklich) zu sitzen, während in Hamburg vermutlich bei Eis und Schnee Unterschriften für die Briefeintragungen fürs Volksbegehren gesammelt werden.... 

Nur um es noch einmal zu erwähnen, hier in Nairobi am WSF nehmen teil: Michael Efler, Roman Huber von Mehr Demokratie und Arjen Nijeboer von der Referendum Platform Niederlande (Teil von Democracy International = DI). Wir tragen alle Kosten der Reise (Flug, Unterkunft etc.) selbst. Lediglich die Registrierungsgebühr für die Teilnahme und die zwei angemeldeten Workshops werden von Mehr Demokratie gezahlt.

Immerhin verlangt das WSF dafür von westlichen NGOs 390 Euro, von afrikanischen NGOs 15 Euro, aber selbst dieser Betrag ist für viele unbezahlbar.

Teil 1:

Wir brechen am 18.01.2007 auf: Um vier Uhr aufstehen bzw. haben meine Freundin Sonya und ich überhaupt nicht geschlafen, weil wir die ganze Nacht noch mit Packen beschäftigt waren. Der Flieger hebt um 6:00 früh bei strömendem Regen in München ab und landet 1,5 Stunden später in Amsterdam. Hier treffen wir Arjen aus Amsterdam und Michi aus Berlin. Um zehn Uhr sollte es weitergehen nach Nairobi und jetzt beginnt unsere kleine Odyssee.

Aufgrund des aufkommenden Orkans wird der Flug halbstundenweise nach hinten verschoben. Irgendwann ist völlig unklar, ob wir es heute überhaupt noch schaffen zu starten. Ca. um fünf Uhr, also nach 7-8 Stunden Warten, wird der Flug plötzlich freigegeben. Ein paar Minuten später allerdings der Schock: Aufgrund von arbeitsrechtlichen Bestimmungen könne die aktuelle Crew, die ebenfalls die ganze Zeit gewartet hat, den Flug nicht bestreiten, da sie nach was weiß ich wie vielen Stunden verpflichtend eine Pause machen müssten. Diese Regelung sei nun um 10 Minuten überschritten... Leichte Mobstimmung macht sich breit.... Kurz darauf gibt es Entwarnung. Es geht also endlich los. Wir heben bei böigem Wind ab und landen sicher um vier Uhr Nachts Ortszeit (2:00 Uhr in Deutschland) in Nairobi. Wir haben nun in den letzten 48 Stunden fast nicht geschlafen und sind entsprechend gerädert. 

Unsere Visa kriegen wir für 50 Dollar gleich im Flughafen, alles läuft reibungslos. (Auf dem WSF erzählt uns dann allerdings ein afrikanischer Journalist, dass die Visa normalerweise 10-15 Dollar weniger kosten, die Preise speziell für das WSF erhöht wurden und sich ein hoher Flughafenbeamter damit ganz schön die Taschen voll machen würde. Ob es stimmt weiß ich nicht, die Preisschilder für die Visa waren aber tatsächlich provisorisch mit neuen Preisen überklebt .... ). 

Wir machen das Taxi bereits in der inneren Zone des Flughafens klar, um all den tollen Angeboten , die nach Verlassen des Securitybereichs auf uns einstürmen, zu entgehen und sind kurze Zeit später in unserem Appartement. Es ist geräumig, kühl, liegt gegenüber der Universität und 200 Meter von der Hauptpolizeiwache Nairobis entfernt. Beruhigend. Kleiner Exkurs: Nairobi ist eine der unsichersten Städte in Afrika, bestimmte Viertel sollte man definitiv in der Nacht meiden, viel Trickdiebstahl, aber auch viele Raubüberfälle. Wir lesen dann auch hier später jeden Tag in der Zeitung, dass die Polizei 4-5 Gangster erschossen hat. 

Nachdem wir ein paar Stunden geschlafen haben, brechen wir per Taxi zum Konferenzort nach Kasarani, ca. 15 km außerhalb von Nairobi, zum Daniel Arap Moi- Sportstadion (der zweite Präsident Kenias von 1978 bis 2002) auf. Bilder von der Vorbereitung des Stadions könnt ihr unter www.wsf2007.org/picture-gallery sehen. 

Während und vor der Fahrt prasseln die Eindrücke auf uns herein: wahnsinniger Verkehr, unglaublich viele Menschen, Dreck und Abfall, fruchtbare rote Erde, alle möglichen religiösen Gebäude und Kirchen in geringem Abstand zueinander: Baptist Church, Sikh Tempel (Indien), Amayyaden Moschee, viele, auch sichtbar arme Menschen, sind sehr ordentlich gekleidet, die Männer mit gebügeltem Hemd und Hose, die Frauen mit unglaublich kunstvollen Frisuren, einige mit ganz glatten Haaren. Die Haarpracht scheint so was wie ein Statussymbol zu sein. Sie geben viel Geld aus, um sie plätten, also glatt zu machen, äquivalent zur europäischen Dauerwelle... Alle Körperpartien sind bedeckt, auch auf den Plakaten, spürbar nicht so oversexed wie bei uns, man sieht nie Nacktes, das ist ziemlich angenehm. Alles mutet anders an, die Häuser, die Gerüche, die Menschen, keine Weißen, nur allgegenwärtig vermutlich überall auf der Welt: Shell- und BP-Tankstellen, die global Player und großen Erdölkonzerne. Jedes bessere Gebäude, jede Firma umgeben von Stacheldrahtverhauen und bewacht von Guards in Uniform, teilweise schwer bewaffnet. Wir hören im Radio Werbung für den Beginn des WSFs morgen und freuen uns. Die Stimmung in der Stadt ist angenehm, die Menschen alle sehr offen und freundlich, immer mit einem Lächeln im Gesicht: Hello brother, hello sister, hello my friend (ausgesprochen brothaa, sistaa). Sie kommen einem näher, als man dies aus Europa gewöhnt ist, fassen einen gleich an, umarmen einen, lachen viel, ich mag es.

Am Venue angekommen, erfahren wir, dass die Registrierung am KICC = Kenyatta (der erste Präsident Kenias seit der Unabhängigkeit 1963 bis zu seinem Tod 1978) International Conference Centrum im Zentrum der Stadt stattfindet. Also fahren wir wieder in die Stadt und trauen uns zum erstenmal, ein Matatu, ein Sammeltaxi zu nehmen. Matatus sind in der Regel Nissan-Kleinbusse oft nicht mehr so richtig verkehrstüchtig. In Europa würde man vielleicht 9 Sitzplätze reinbekommen, hier sind es ungefähr 20 Plätze. Das Taxi kostete zum Venue 1000 Keniatische Schilling, das Matatu kostet pro Person 20 Schilling. Es sind abenteuerliche Gefährte, die Fahrer haben teilweise einen Kamikaze-Fahrstil. Matatus fahren erst los, wenn sie voll sind. Während der Fahrt gellt oft brüllend laute (wie ich finde gute, Michi als Metal Fan findet das nicht) Musik aus den Lautsprechern. Das Ein- und Aussteigen geht rasend schnell. Man weiß irgendwie nie, wann sie halten, es gibt keine festgelegten Haltestellen. Man sagt also dem Schaffner, der an der Seitentür sitzt und die Leute rein- und rauslotst, wann man raus will, dann klopft der mit einer Münze an die Karosserie, das hört der Fahrer und hält an.

Ein Matatu Speed Song hat den Refrain God will take care of you und Lord, I am coming home ..... Dennoch: Die Matatus sind das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs, sie sind schnell, effizient und billig und haben den Transport von Zehntausenden von WSF-Teilnehmern hinaus aus der Stadt nach Kasarani spielend bewältigt. 

Wir kommen in Ostnairobi in der Dämmerung an, also genau in dem Viertel, in dem man zu dieser Zeit nicht unterwegs sein soll und haben ein mulmiges Gefühl in dem Gewusel von Menschen, ... die einzigen Weißen, die unterwegs sind... Aber schon bald pickt uns ein Schwarzer aus Hessen , der deutsch spricht, auf und bringt uns ein paar Ecken weiter zum nächsten Matatu, das uns wohlbehalten zum Methodist Guest House bringt, in dem das Treffen der deutschen Organisationen vor dem WSF stattfindet. 

Wir treffen Altbekannte: Philipp Hersel von Attac, Manfred Brinkmann von DGB und Jürgen Reichel vom EED (evangelischen Entwicklungsdienst u.a. Misereor), die das Treffen einleiten. Jürgen Reichel ist als einziger Deutscher im International Council des WSF und berichtet: Das International Council (IC) mit über 100 Mitgliedsorganisationen leitet die einzelnen WS-Foren nicht operativ, das machen die jeweiligen Länder-Organisationskomitees, also diesmal das Kenyan oder Afrikan Organisation Comitee. Das IC ist sozusagen das historische Gedaechtnis des WSF, es bestimmt die Strategie und die Themenachsen für die Workshops, in welchem Turnus und wo das nächste WSF stattfindet. 

Pling - jetzt gab es grade einen Totalstromausfall, ich hatte nicht rechtzeitig gesichert und als die anderen das mitbekommen, lacht heimlich das ganze Internetshop über mich. Es wird übrigens von (teilweise muslimischen) Frauen betrieben, die Älteste von ihnen bringt alles wieder in Ordnung. Die Männer stehen rum. Jedes Klischee schlägt fehl. Ich bin wohl der einzige, der sich (zumindest innerlich) aufregt und nervös ist, ob jetzt nicht alles seit der letzten Sicherung weg ist. Alle anderen warten völlig lässig und gleichmütig. Afrika meets Europe. Naja, als dann wieder alles läuft, zeigt sich: die Schnellsicherung von Word hat alles gespeichert und es gab keinen Datenverlust bei mir...

Weiter im Text: Reichel stellt dar, wie die Wahl fürs WSF auf Kenia fiel. Das IC hatte 2004 nur beschlossen, dass das WSF in 2007 in Afrika stattfinden soll, die afrikanische Zivilgesellschaft sollte selbst unter sich ausmachen in welchem Land. Zuerst haben sich das anglo- und frankophone Afrika gegenseitig blockiert. Es waren Senegal und Mali im Gespräch, allerdings begannen dann auch die ehemaligen Kolonialmächte Belgien und Frankreich Einfluss zu nehmen. Das kam im IC nicht gut an. Kenia empfahl sich nicht zuletzt wegen seiner jüngeren demokratischen Entwicklung, dem laufenden Verfassungsprozess (dazu später mehr) und der frischen Einstellung der Organisatoren bezüglich der zukünftigen Entwicklung, sinngemäß: Wir müssen endlich aufhören, uns über unser schlimmes koloniales Erbe zu beklagen, sondern auch die Fehler bei uns suchen: die unglaubliche Korruption bekämpfen und uns selbst verändern, weil sich nur dann etwas ändern wird. Zudem begünstigt natürlich ein englischsprachiges Land die Internationalisierung. Jürgen Reichel sagt uns höflich, wie er als Pfarrer nun mal ist, durch die Blume, dass das uns erwartende WSF etwas chaotischer werden wird als vorherige. Das Programm ist immer noch nicht fertig, es gibt nur eine Internetversion. Als ich meinen Missmut darüber ausdrücke, ist mir klar, dass dies schnell als typisch deutsche Kritikasterei ohne Kenntnis der lokalen Verhältnisse abklassifiziert werden kann.

Mein Argument ist allerdings, dies sei kein typisch afrikanisches Phänomen, sondern ich hätte dies auch schon in Brasilien und Indien erlebt und er müsse doch mittlerweile in der WSF Organisation eine langjährige Organisationspraxis geben. Dieses Know How sollte doch an die jeweiligen Länder Organisationen weitergegeben werden, damit nicht alle das Rad wieder neu erfinden müssen. Ich bat das IC als historisches Gedächtnis , doch künftig dafür Sorge zu tragen.

Manfred Koch, der schon seit 1.12.2007 in Nairobi bei der Vorbereitung hilft, nahm dann nach der Veranstaltung kein Blatt vor den Mund. Er berichtete: All diese Hilfestellungen ans afrikanische Organisationskomitee hätte es weit im Vorfeld gegeben und zwar nicht nur von nördlichen Ländern, sondern vor allem von den brasilianischen und indischen (nicht durch koloniale Vergangenheit vorbelasteten) Kollegen. Aber die verantwortlichen Afrikaner hätten dies weit von sich gewiesen, sie hätten alles im Griff, .... Genau die gleichen wurden aber im Laufe der Zeit immer kleinlauter und zu guter Letzt arbeiteten einige brasilianische Datenbank-Spezialistinnen Tag und Nacht daran, doch noch alles hinzubekommen. Sie würden es aber nun auch nicht mehr hundertprozentig schaffen. Er wolle nun auch auf gewisse Befindlichkeiten keine Rücksicht mehr nehmen und spräche dies direkt an. 

Nach einem anschließenden Barbecue fallen wir ins Bett und sind gespannt auf den morgigen ersten Tag des WSF.

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