Demokratie-Check: Koalitionsvertrag 2021-2025

Auf den Koalitionsvertrag haben sich die Spitzen der Ampel-Parteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP am 24. November 2021 geeinigt. Der Vertrag muss noch von Parteitagen bzw. Mitgliedern bestätigt werden. Wir stellen hier die wichtigen Aussagen zusammen. Alle Seitenzahlen beziehen sich auf diese PDF (gedruckte Seitenzahlen, nicht PDF-Seiten).

Hier finden Sie unsere Zusammenfassung als PDF zum Download. In kursiv lesen Sie die Einordnung von Mehr Demokratie.
 

1.     Bürgerräte / Bürgerbeteiligung
 
Seite 10 – Lebendige Demokratie
„Wir wollen die Entscheidungsfindung verbessern, indem wir neue Formen des Bürgerdialogs wie etwa Bürgerräte nutzen, ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben. Wir werden Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren. Dabei werden wir auf gleichberechtigte Teilhabe achten. Eine Befassung des Bundestages mit den Ergebnissen wird sichergestellt.“ 

Damit wird das Prinzip „Bürgerräte auf Bundesebene“ etabliert. Die „Sicherstellung der Befassung“ stellt den ersten Schritt einer Institutionalisierung dar. Die Forderung der „mittendrin – Mit Bürgerräten!“-Kampagne von Mehr Demokratie ist damit erfüllt.

An mehreren Stellen im Koalitionsvertrag wird mehr Bürgerbeteiligung angekündigt, z.B.


Seite 8 – Moderner Staat
„Indem wir Bürgerinnen und Bürger früher beteiligen, machen wir die Planungen schneller und effektiver.“
 
Seite 128 – Gute Lebensverhältnisse in Stadt und Land
„Wir werden Bürgerbeteiligung in Verantwortung der kommunalen Selbstverwaltung unterstützen, z.B. bei regionalen Entwicklungskonzepten, Regionalmanagements und Regionalbudgets.“


2.     Direkte Demokratie / Petitionsrecht
 
Seite 10 – Lebendige Demokratie
„Das Petitionsverfahren werden wir insgesamt stärken und digitalisieren und die Möglichkeit schaffen öffentliche Petitionen in Ausschüssen und im Plenum zu beraten.“
 
Die Einführung der direkten Demokratie auf Bundesebene ist nicht vorgesehen. Allerdings könnte der Ausbau des Petitionswesens ein erster Schritt in Richtung einer Volksinitiative sein, mit der Bürgerinnen und Bürger Themen auf die Agenda des Parlamentes setzen könnten.


3.     Wahlrecht
 
Seite 11 – Wahlrecht
„Wir werden innerhalb des ersten Jahres das Wahlrecht überarbeiten, um nachhaltig das Anwachsen des Bundestages zu verhindern. Der Bundestag muss effektiv in Richtung der gesetzlichen Regelgröße verkleinert werden. Eine Verzerrung der Sitzverteilung durch unausgeglichene Überhangmandate lehnen wir ab.“
 
Seite 12 – Wahlrecht
„Wir werden das aktive Wahlalter für die Wahlen zum Europäischen Parlament auf 16 Jahre senken. Wir wollen das Grundgesetz ändern, um das aktive Wahlalter für die Wahl zum Deutschen Bundestag auf 16 Jahre zu senken. Wir wollen die Ausübung des Wahlrechts für im Ausland lebende Deutsche erleichtern.“

Die Absenkung des Wahlalters und Reform des Bundestagswahlrechtes sind Forderungen von Mehr Demokratie.
 
Seite 11 – Wahlrecht
„Wir werden die „Kommission zur Reform des Bundeswahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit“ erneut einsetzen. Die Kommission wird sich mit dem Ziel einer paritätischen Repräsentanz von Frauen und Männern im Parlament befassen und die rechtlichen Rahmenbedingungen erörtern. Die Kommission wird zudem Vorschläge zur Bündelung von Wahlterminen, zur Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre sowie zur Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers / der Bundeskanzlerin prüfen.“
 
Der Arbeitsauftrag der Reformkommission wurde erweitert, allerdings fehlt speziell bei der Reform des Bundestagswahlrechtes eine effektive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Die weiterführenden Fragestellungen sind zu begrüßen, einer Verlängerung der Legislatur-periode sind verbindliche Entscheidungsrechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüberzustellen.



4.     Transparenz
 
Seite 10 – Transparenz
„Wir wollen durch mehr Transparenz unsere Demokratie stärken. Uns leiten die Prinzipien offenen Regierungshandelns – Transparenz, Partizipation und Zusammenarbeit. Wir werden das Lobbyregistergesetz nachschärfen, Kontakte zu Ministerien ab Referentenebene einbeziehen und den Kreis der eintragungspflichtigen Interessenvertretungen grundrechts-schonend und differenziert erweitern. Für Gesetzentwürfe der Bundesregierung und aus dem Bundestag werden wir Einflüsse Dritter im Rahmen der Vorbereitung von Gesetzesvorhaben und bei der Erstellung von Gesetzentwürfen umfassend offenlegen (sog. Fußabdruck). Die Regelung findet ihre Grenzen in der Freiheit des Mandats.“
 
Seite 10 – Transparenz
„Wir werden den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung und -bestechlichkeit wirksamer ausgestalten.“
 
Die legislative Fußspur wird das Lobbyregister ergänzen und Einflüsse auf die Gesetzgebung damit künftig transparenter machen. Zusammen mit einer Neufassung des Straftatbestands sind dies deutlich strengere Lobbyregeln. Mehr Demokratie hatte dies zusammen mit Lobbycontrol u.a. gefordert.


Seite 11 – Transparenz
„Die Informationsfreiheitsgesetze werden wir zu einem Bundestransparenzgesetz weiterentwickeln.“
 
Dies bedeutet eine Umkehr der Holschuld in die Bringschuld. Bürgerinnen und Bürger können dann nicht nur nachfragen, sondern der Staat muss Daten und Informationen von sich aus veröffentlichen.


5.     Partizipative Gesetzgebung
 
Seite 10 – Lebendige Demokratie
„Wir werden ein digitales Gesetzgebungsportal schaffen, über das einsehbar ist, in welcher Phase sich Vorhaben befinden. Dort werden wir öffentliche Kommentierungsmöglichkeiten erproben. Gesetzentwürfen der Bundesregierung wird künftig eine Synopse beigefügt, die die aktuelle Rechtslage den geplanten Änderungen gegenüberstellt. Wir wollen Gesetze verständlicher machen. Die Barrierefreiheit in den Angeboten von Bundestag und Bundesregierung werden wir ausbauen.“
 
Seite 9 – Lebendige Demokratie
„Wir wollen die Qualität der Gesetzgebung verbessern. Dazu werden wir neue Vorhaben frühzeitig und ressortübergreifend, auch in neuen Formaten, diskutieren. Wir werden dabei die Praxis und betroffene Kreise aus der Gesellschaft und Vertreterinnen und Vertreter des Parlaments besser einbinden sowie die Erfahrungen und Erfordernisse von Ländern und Kommunen bei der konkreten Gesetzesausführung berücksichtigen. Im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens soll die Möglichkeit der digitalen Ausführung geprüft werden (Digitalcheck). Wir werden ein Zentrum für Legistik errichten.“
 
Durch ein Gesetzgebungsportal (eine Forderung von Mehr Demokratie), ein Zentrum für Legistik, die frühzeitige Einbindung von weiteren Stakeholdern und einem legislativen Fußabdruck werden Gesetzgebungsprozessen digitaler, transparenter und partizipativer. Zusätzlich können neue Diskurs-Formate für das parlamentarischen Verfahren diskutiert und erprobt werden.


6.     Parlamentsreform
 

Seite 174 – Kooperation der Fraktionen
„Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages soll reformiert, die Fragestunde und die Befragung der Bundesregierung dynamischer und interaktiver gestaltet, das Parlament bei internationalen Angelegenheiten insbesondere durch Regierungserklärungen gestärkt und für bestimmte Ausschüsse sollen öffentliche Sitzungen, die in Echtzeit übertragen werden, zur Regel werden. Ausschussdrucksachen und Protokolle, die nicht als Verschlusssache mit Geheimhaltungsgrad eingestuft sind, sollen veröffentlicht und die Rechte der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse vor allem mit Blick auf die Rechtsbehelfe des Parlaments überprüft werden.“
 
Durch eine Reform der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags können Parlamentsabläufe modernisiert und nachvollziehbarer gemacht werden.



7.     Gemeinnützigkeitsrecht
 
Seite 117 – Zivilgesellschaft und Demokratie
„Wir modernisieren das Gemeinnützigkeitsrecht, um der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwirken und konkretisieren und ergänzen gegebenenfalls hierzu auch die einzelnen Gemeinnützigkeitszwecke. Wir verbinden dies mit Transparenzpflichten für größere Organisationen.“
 
Seite 165 – Steuern
“Wir wollen gesetzlich klarstellen, dass sich eine gemeinnützige Organisation innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen kann sowie auch gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen kann, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden. Wir schaffen handhabbare, standardisierte Transparenzpflichten und Regeln zur Offenlegung der Spendenstruktur und Finanzierung.”
 
Dies waren Forderungen von Mehr Demokratie und der „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung”.


8.     Politische Bildung / Zivilgesellschaft
 
Seite 11 - Transparenz
„Politische Bildung und Demokratieförderung sind mehr gefordert denn je, denn auch in Deutschland steht die pluralistische, freiheitliche Demokratie unter Druck. Akteurinnen und Akteure der nachhaltigen Demokratieförderung, die auf Basis von Respekt, Toleranz, Würde und Menschenrechten arbeiten, werden auch in Zukunft mit öffentlichen Mitteln gefördert.“
 
Seite 117 – Zivilgesellschaft und Demokratie
„Zur verbindlichen und langfristig angelegten Stärkung der Zivilgesellschaft werden wir bis 2023 nach breiter Beteiligung ein Demokratiefördergesetz einbringen. Damit stärken wir die zivilgesellschaftliche Beratungs-, Präventions- und Ausstiegsarbeit sowie das Empowerment von Betroffenengruppen und werden sie vor Angriffen schützen.“
 
Seite 117 – Zivilgesellschaft und Demokratie
„Im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ wollen wir die bestehenden Strukturen stärken und weiterentwickeln, vermehrt mehrjährige Zuwendungen ermöglichen und die Förder-modalitäten vereinfachen. Die Finanzierung sichern wir dauerhaft ab.“
 
Mehr Demokratie begrüßt die geplanten Förderungen und Stärkung der Beteiligung von zivilgesellschaftlichen Organisationen.



9.     Europa
 
Seite 131 – Zukunft der europäischen Union
„Die Konferenz zur Zukunft Europas nutzen wir für Reformen. Erforderliche Vertrags-änderungen unterstützen wir. Die Konferenz sollte in einen verfassungsgebenden Konvent münden und zur Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat führen, der dezentral auch nach den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit organisiert ist und die Grundrechtecharta zur Grundlage hat.“
 
Mehr Demokratie begrüßt die Einrichtung eines verfassungsgebenden Konventes. Die Schaffung eines europäischen Bundesstaats und damit notwendige Übertragung von Kompetenzen auf die EU kann in Deutschland nur per Volksentscheid erfolgen. Auch die Rückverlagerung von Kompetenzen auf die nationale oder regionale Ebene muss bedacht werden.
 
„Wir wollen das Europäische Parlament (EP) stärken, z. B. beim Initiativrecht; vorzugsweise in den Verträgen, andernfalls interinstitutionell. Wir werden der Gemeinschaftsmethode wieder Vorrang geben, aber wo nötig mit einzelnen Mitgliedstaaten vorangehen. Wir unterstützen ein einheitliches europäisches Wahlrecht mit teils transnationalen Listen und einem verbindlichen Spitzenkandidatensystem. Wenn bis zum Sommer 2022 kein neuer Direktwahlakt vorliegt, wird Deutschland dem Direktwahlakt aus 2018 auf Grundlage eines Regierungsentwurfes zustimmen.

Die Arbeit des Rates muss transparenter werden. Wir werden eine Initiative dafür ergreifen, dass Kommissionsvorschläge im Rahmen einer gesetzten Frist öffentlich im Rat debattiert werden. Wir werden Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat nutzen und ausweiten. Wir werden ein Verfahren festlegen, um die Information und Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundestages gemäß Art. 23 GG zu verbessern.“
 
Die Stärkung der Parlamente (EP und Bundestag) im europäischen Gefüge ist dringend notwendig und wird von Mehr Demokratie seit langem gefordert.


10.     Handelspolitik
 
Kommentierung nur zu CETA und Schiedsgerichten
 
Seite 34 – Rohstoffe, Lieferketten, Handelspolitik
„Die Entscheidung über die Ratifizierung des Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) treffen wir nach Abschluss der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht.“
 
Diese de facto geplante Ratifizierung von CETA widerspricht unserer Forderung.
 
Seite 34 – Rohstoffe, Lieferketten, Handelspolitik
„Wir setzen uns für Investitionsabkommen ein, die den Investitionsschutz für Unternehmen im Ausland auf direkte Enteignungen und Diskriminierungen konzentrieren und wollen die missbräuchliche Anwendung des Instruments – auch bei den noch ausstehenden Abkommen – verhindern.“
 
Das könnte zu einer Einschränkung der undemokratischen Schiedsgerichtspraxis und der Klageprivilegien von Konzernen führen. Dies würde Mehr Demokratie positiv bewerten.

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