Die Delegierten für den Verfassungskonvent in Chile sind gewählt

Nachdem im Oktober 2020 mehr als drei Viertel der Wahlberechtigten in Chile für einen Verfassungskonvent stimmten, fand am Wochenende des 15./16.05.2021 die Wahl der Delegierten für diese Versammlung statt. Innerhalb von zwölf Monaten soll das gewählt Gremium eine neue Verfassung auszuarbeiten, über die abschließend in einem Referendum abgestimmt wird.

Niederlage für rechtskonservatives Lager

Der Befriedungsprozess der 2019 aufgekommenen sozialen Unruhen in Chile nimmt nach der Volksabstimmung im Oktober nun formale Züge an. Zweimal wurde der Termin für die Wahl der verfassungsgebenden Versammlung aufgrund der anhaltenden Pandemie verschoben. Am Wochenende des 15/16.Mai war es soweit und die 155 Delegierten des Verfassungskonvents wurden gewählt. 17 Sitze waren bereits vor der Wahl für Vertreter und Vertreterinnen der indigenen Bevölkerung vorgesehen. Außerdem ist der Konvent beinahe paritätisch männlich und weiblich besetzt. 1300 Kandidaten waren nominiert worden, wobei die unabhängigen Kandidaten und Kandidatinnen im Vorfeld eine hohe Anzahl an Unterschriften sammeln mussten, um antreten zu können. Und dennoch können die Unabhängigen 65 Sitze, ca. 40 Prozent, für sich beanspruchen. Auch für linksgerichtete Kandidaten wird die Wahl als Erfolg gewertet. Das Parteienbündnis aus Rechten und Konservativen hingegen hat nur für 37 Sitze für sich entscheiden können. Nun müssen die Delegierten sich auf eine Verfassung einigen, für die  eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig ist.

Großer wirtschaftlicher und sozialer Reformbedarf

Der verfassungsgebenden Versammlung kommt nun die Aufgabe zu, dass im Vergleich zu anderen konsolidierten Demokratien niedrige Vertrauen in die demokratischen Institutionen zu stärken. Mit der bisherigen Verfassung waren sozialstaatliche Reformen kaum umsetzbar. Ebenso konnten wirtschaftspolitische Neuerungen, die das Land etwa weniger abhängig vom Kupferexport machen würden, nicht durchgesetzt werden. Die noch gültige Verfassung von 1980 wird vielfach als „neoliberal“ kritisiert und gilt als eine der Ursachen für die starke soziale Ungleichheit, Armut und mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten im Land. Die Erwartungen an die neue Verfassung sind folglich hoch. Die neue Verfassung muss also effektives Regierungshandeln ermöglichen, sodass die bestehenden Defizite beseitigt werden können.

Der Wunsch nach Veränderung ist groß, doch gibt es auch die Befürchtung, dass zu hohe Ansprüche an staatliches Handeln festgehalten werden, ohne dass diesen langfristig entsprochen werden könnte. Das wäre wiederum fatal für das Vertrauen in den Staat.

Politische Zäsur

Noch während die Verfassung ausgearbeitet wird, findet im Herbst diesen Jahres die Präsidentschaftswahl statt. Diese fällt somit in eine politisch hoch brisante Phase. Der amtierende Präsident Sebastián Piñera kann nicht mehr zur Wahl antreten. Es wird also auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin herauslaufen, der oder die bei Amtsantritt im März noch nicht weiß auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage er/sie zukünftig regieren werden.

Referendum im nächsten Jahr

Der Verfassungsentwurf benötigt zunächst eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Verfassungskonvents. Anschließend – voraussichtlich Ende 2022 – stimmen die Bürgerinnen und Bürger Chiles über den Vorschlag ab. Der Konvent muss bei seiner Arbeit also stets berücksichtigen, dass die Mehrheit der Chileninnen und Chilenen der neuen Verfassung zustimmen muss. Denn sollte diese abgelehnt werden, bliebe die alte Verfassung von 1980 in Kraft. Das wiederum wäre ein Rückschritt für ein modernes Chile.

 

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