Weltweit für direkte Demokratie

Vom 1. bis 4. Oktober fand im schweizerischen Aarau die erste Weltkonferenz zur direkten Demokratie statt. Dies, weil die Bewegung für Volksabstimmungen inzwischen eine weltweite geworden ist. Auf Einladung des Initiative & Referendum Institute Europe trafen sich rund 80 um den gesamten Erdball Aktive, um sich über den Stand der Demokratieentwicklung auszutauschen und interessante Vorträge zu hören.

 

Unter den Teilnehmern fanden sich Vertreter aus Korea und Taiwan ebenso wie aus Australien, Chile oder den USA, wo sogar ein demokratischer US-Senator aus Alaska die Demokratiefahne hochhält. Demokratiebegeisterte aus Irland trafen auf Gleichgesinnte aus Bulgarien, Georgien und Litauen.

 

<typohead type=3>Tagung im Parlament</typohead>

Die Tagung wurde unterstützt von der Regierung des Kantons Aargau, in dem der Veranstaltungsort liegt. Walter Markwander, Präsident des Kantonsparlaments, begrüßte die Anwesenden im Sitzungssaal des Parlaments. In einer Reihe von Kurzvorträgen präsentierten Tagungsteilnehmer die direktdemokratischen Aktivitäten in ihrem Land. So referierte Zoltan Pallinger über die „royale Direktdemokratie“ in Liechtenstein, wo sich Volksentscheid und Fürstenhaus gut vertragen. Slaveia Hristova aus Bulgarien schilderte die schwierigen Bedingungen, aber auch die positiven Debatten über die direkte Demokratie in ihrem Land. Ramon Casiple von den Philippinen erläuterte das direkt-demokratische System seiner Heimat. Abschluss- und Glanzpunkt war die Vorstellung der Erfolge der Initiative für mehr Demokratie in Südtirol, wo die Bürger 2009 aufgrund der Arbeit der Initiative über ihre Demokratieregeln abstimmen können.

 

Einzelne Länder wurden auch in ausführlicheren Vorträgen vorgestellt. So stellte Joe Mathews von der New America Foundation die Problematik der „Referendumsindustrie“ in den USA dar, wo Unterschriften für Volksbegehren fast nur von bezahlten Kräften gesammelt werden und nicht nur Wahlen, sondern auch Abstimmungskämpfe eine teure Angelegenheit sind. Mitverantwortlich macht Mathews die schlechten Regeln für die direkte Demokratie in den USA, die im Vergleich zur Schweiz sehr unausgereift sind. Beeindruckt zeigten sich viele Anwesende nach dem Vortrag von Mehr Demokratie-Sprecher Gerald Häfner über die Erfolge des Vereins in Deutschland, wo die Entwicklung der direkten Demokratie auch aufgrund der Kampagnen und Aktionen von Mehr Demokratie rasch voran schreitet.

 

<typohead type=3>Europa mit Volksentscheid</typohead>

Generell in Europa ständig aktuell und auch auf der Tagung ein Thema war die Frage des Zusammenhangs von europäischer Integration und der Wirkung der Volksrechte hierbei. Claude Longchamp, Wahl- und Abstimmungskommentator beim Schweizer Fernsehen präsentierte einen Abriss der Volksabstimmungen zu Europafragen in der Schweiz. Hier haben die Bürger wiederholt über einzelne Integrationsschritte abgestimmt, wobei sie die Mitgliedschaft in Europäischer Union und Europäischem Wirtschaftsraum abgelehnt, der Zusammenarbeit unterhalb von Mitgliedschaften in solchen Institutionen aber wiederholt zugestimmt haben.

 

Christian Leffler, Mitarbeiter der EU-Kommissarin Margot Wallström, zählte die Bemühungen der Europäischen Union auf, ihre Bürger über die Arbeit der EU zu informieren und sie dafür zu begeistern. Spätestens bei der Befassung mit dem zur Einführung vorgesehenen Instrument des europäischen Bürgerbegehrens wurde die Unbeholfenheit im Umgang mit der direkten Demokratie deutlich. Mit einer Million Unterschriften sollen in Zukunft Bürger der Europäischen Union die EU-Kommission mit einer Forderung befassen können. Hauptthema in der EU sind dabei derzeit scheinbar aber wieder bürokratische Fragen wie die, aus wie vielen EU-Mitgliedsstaaten die Unterschriften kommen müssen und wie viele Unterschriften aus jedem einzelnen dieser Staaten. Zuhörer kritisierten hingegen, dass die EU auch mit diesem Bürgerbegehren noch immer viel zu wenig demokratisch sei.

 

<typohead type=3>Abstimmen per Mausklick</typohead>

Die Fortschritte der Schweiz in Sachen elektronischer Demokratie präsentierten am folgenden Tag Gabriela Felder und Lisa Schädel von der Universität Zürich. Sie präsentierten das in der Alpenrepublik in der Erprobungsphase befindliche Verfahren des Wählens und Abstimmens per Internet. Anders als in anderen Ländern stößt die elektronische Stimmabgabe hier kaum auf Widerstand. Erklärt wurde dies von einem Teilnehmer u.a. durch das spezielle Verhältnis, dass die Schweizer zur geheimen Wahl haben, wenn z.B. in zwei Kantonen bei den Landsgemeinden – jährlichen Versammlungen auf Marktplätzen mit offenen Abstimmungen über politische Fragen – eine geheime Wahl de facto nicht stattfindet. Aufgrund der direkten Demokratie und ihren Wirkungen dürften die Eidgenossen aber auch einfach ein anderes Vertrauensverhältnis zu ihren Behörden und Regierungen haben als etwa in Deutschland, wo schnell Manipulationsängste aufkommen.

 

<typohead type=3>Wer soll das letzte Wort haben?</typohead>

Spannend wurde es am letzten Tag der Veranstaltung noch einmal, als es um die Frage ging, ob die Volksherrschaft absolut zu setzen ist oder Einschränkungen unterliegt oder unterliegen soll. Diese Diskussion kommt in der Schweiz immer wieder dann auf, wenn Volksinitiativen extremer politischer Kräfte zur Abstimmung kommen, die die Ausweisung von Ausländern oder das Verbot von Minaretten fordern. Anders als in anderen Staaten kennen die Eidgenossen hierbei keine Verfassungsgerichtsbarkeit, die solche Initiativen auf ihre Vereinbarkeit mit Verfassungsgrundsätzen prüft. Die Ergebnisse von Volksabstimmungen sind ebenso wenig angreifbar wie die Beschlüsse des Parlaments. Volk und Parlament können sich aber gegenseitig in ihren Entscheidungen korrigieren. Daniel Schily, Mitglied des Bundesvorstands von Mehr Demokratie, wies in der Diskussion darauf hin, dass auch andere Verfassungsorgane als das Volk nicht umsetzbare Entscheidungen fällen können. Er verwies dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Erbschaftssteuerrecht, das so nicht in die Praxis umzuwandeln sei. Hansjörg Seiler von der Universität Luzern empfahl daraufhin, das Bundesverfassungsgericht abzuschaffen...

 

Letztlich herrscht in der Schweiz eine Kultur des Vertrauens in die Urteilsfähigkeit der Bürger, denen zugetraut wird, ihre Verfassung selber vor Angriffen extremistischer Kräfte schützen zu können. Eine Einstellung, von der man in Deutschland noch lernen kann.

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