EU-Experten: Die Menschen erleben Europa nicht

[33/09] Staatschefs wollen Lissabon-Vertrag durchsetzen/Staatsrechtler fordern mehr Demokratie

 

Während die Staats- und Regierungschefs in Brüssel darüber beraten, wie sie die Iren in einem zweiten EU-Referendum zum Ja bewegen können, suchen Europa-Experten in Köln Wege hin zu einer demokratischeren EU. Der Tenor des Kolloquiums „Europäische Demokratie in guter Verfassung?“ ist eindeutig: Eine zukunftsfähige europäische Gemeinschaft kann nicht von oben her verordnet werden, sondern muss von Bürgerinnen und Bürger mitgetragen werden.

Als Kernproblem stellte Gerald Häfner, Vorstandssprecher des Vereins Mehr Demokratie, die fehlende Identifikation der Bürger mit Europa heraus. „Die Menschen erleben Europa nicht.“ Selbst Bundestagsabgeordnete seien darüber verwundert, wie wenig sie noch eigenständig entscheiden könnten. Europa müsse neu gegründet und demokratischer gestaltet werden.

Selbst Rechtswissenschaftlern und Politik-Experten erscheint die EU als Demokratie-Dickicht. „Ich habe an allen Europawahlen teilgenommen, aber nie gewusst, welchen Effekt meine Stimme hat“, gestand der Münchner Professor für Öffentliches Recht und Staatsphilosophie Peter M. Huber. Europa habe ein Parlament aufs Pferd gesetzt, das niemals Reiten gelernt habe. Huber forderte in diesem Zusammenhang einen besseren Informationsaustausch zwischen den nationalen und dem Europäischen Parlament, die Stärkung europäischer Parteien und die Einführung veränderbarer Parteilisten, die dem Wähler mehr Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments geben.

 

Martin Nettesheim, der als Professor an der Universität Tübingen den Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europarecht und auswärtige Politik innehat, forderte eine Debatte über das Selbstverständnis der Menschen in Europa. Die EU müsse weg von der Gemeinschaftsbildung von oben. Als ein Mittel, um Europa den Bürgern näher zu bringen, sahen die Staatsrechtler direktdemokratische Verfahren. So sprach sich Christoph Degenhart, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Leipzig, für Referenden über neue EU-Verträge und den Beitritt neuer Mitgliedstaaten aus.

 

Mehr Demokratie fordert seit Langem einen direkt gewählten Konvent, der einen neuen Grundlagenvertrag für die EU erarbeitet. Über das Ergebnis sollen Volksabstimmungen in allen EU-Mitgliedstaaten stattfinden. Außerdem soll das Europäische Parlament gestärkt werden. Der Verein schlägt ein Zweikammernsystem vor, in dem das Parlament gemeinsam mit einer Staatenkammer mit Vertretern aller EU-Staaten die Legislative bilden würde.

 

Informationen zum Kolloquium: www.mehr-demokratie.de/eu-kolloquium.html

 

Vorschläge von Mehr Demokratie im Überblick: www.mehr-demokratie.de/europa.html

 

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