Schweiz: Volksabstimmungen sind Spiegel, nicht Ursache für radikale Stimmungen

[24/14] Schweiz: Volksabstimmungen sind Spiegel, nicht Ursache für radikale Stimmungen

Am Sonntag (30. November) stimmen die Schweizerinnen und Schweizer gleich über drei kontrovers diskutierte Volksinitiativen ab: Es geht um eine strenge Zuwanderungsbeschränkung, um die Abschaffung der Pauschalbesteuerung und eine Erhöhung der Goldreserven der Schweizer Nationalbank. Breit kritisiert wird vor allem die sogenannte Ecopop-Initiative, die die Zuwanderung auch aus EU-Mitgliedstaaten erheblich einschränken will. Der Verein Mehr Demokratie vertritt die Ansicht, dass die gesetzliche Prüfung von Volksinitiativen und Volksbegehren vor der Abstimmung sinnvoll wäre.

„Nach unserem Gesetzentwurf für bundesweite Volksabstimmungen in Deutschland müssten Bundestag und die Bundesregierung einen Antrag auf Volksbegehren zunächst prüfen und könnten das Bundesverfassungsgericht anrufen, falls sie ihn für unzulässig halten“, so Mehr Demokratie-Vorstandssprecher Ralf-Uwe Beck. Falls das Bundesverfassungsgericht ein Volksbegehren ganz oder teilweise für unzulässig erklärt, hätte die Initiative mehrere Monate Zeit, Teile ihres Vorschlags zu streichen oder ihn umzuformulieren – so der Vorschlag von Mehr Demokratie. „Durch diese sogenannte präventive Normenkontrolle wäre gesichert, dass nur Vorlagen zur Abstimmung kommen, die dann auch tatsächlich umgesetzt werden können. Für Bürgerinnen und Bürgern muss bei der Abstimmung klar sein, was ihre Stimme bewirkt.“ In der Schweiz gibt es einen solchen Kontrollmechanismus nur in Ansätzen, was immer wieder zu schwer umsetzbaren Abstimmungsergebnissen führt.

Umstrittene Volksabstimmungen in der Schweiz sind nach Ansicht von Mehr Demokratie kein Argument gegen den Ausbau der direkten Demokratie in Deutschland. „Wir wollen die Schweiz nicht kopieren, sondern kapieren“, fasst Beck zusammen. „Volksabstimmungen sind ein Spiegel von Anliegen, Sorgen und manchmal auch Ressentiments in der Gesellschaft. Sie sind nicht für radikale Stimmungen verantwortlich, sondern zeigen, wo politischer Handlungsbedarf besteht.“ Gerade vor diesem Hintergrund sei es wichtig, die direkte Demokratie fair und transparent zu regeln. Mehr Demokratie fordert seit mehr als 25 Jahren die Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung auch auf Bundesebene und hat dazu einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt.

Mehr Demokratie Gesetzentwurf für bundesweite Volksabstimmungen in Deutschland: <link>

www.mehr-demokratie.de/md-gesetzentwurf.html

 

Hintergrund zu den Schweizer Abstimmungsvorlagen:

Die sogenannte Ecopop-Initiative (geht zurück auf den Verein Ecologie et Population) fordert, die jährliche Zuwanderung auf 0,2 Prozent der vorhandenen Bevölkerung (derzeit rund 8 Millionen) zu beschränken – statt der bisher über 100.000 Zuwanderer pro Jahr dürften es demnach nur noch 16.000 sein. Damit geht die Vorlage mit Titel „Stopp der Überbevölkerung - zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen“ noch über die Anfang des Jahres knapp angenommene Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ hinaus: 50,3 Prozent der Abstimmenden hatten im Februar 2014 dafür gestimmt, dass die Regierung bis 2017 Kontingente für Zuwanderer, auch für EU-Bürger, festlegen muss. Wie genau diese Vorgabe umgesetzt wird und wie das mit den Verträgen zwischen Schweiz und EU zur gleichberechtigten Teilnahme am EU-Binnenmarkt vereinbar sein soll, ist noch unklar. Über den Zuwanderungsstopp hinaus fordert die Ecopop-Initiative, die Schweiz solle zehn Prozent der Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit zum Kauf von Verhütungsmitteln und für Aufklärungskampagnen in Entwicklungsländern einsetzen.

Die Volksinitiative „Schluss mit den Steuerprivilegien für Millionäre“ verlangt die Abschaffung der sogenannten Pauschalbesteuerung: Bisher werden in der Schweiz wohnende Ausländer, die aber nicht dort arbeiten, nicht nach ihrem Einkommen und Vermögen, sondern pauschal nach ihren geschätzten Lebenshaltungskosten besteuert. Das führt dazu, dass sehr wohlhabende Ausländer in der Schweiz Steuerprivilegien genießen: Die von ihnen gezahlten Steuersummen stehen in keinem Verhältnis zu ihren im Ausland erwirtschafteten Einnahmen. Bei einem Erfolg der Initiative würden reiche Ausländer ihre Wohnsitze in der Schweiz aufgeben und die Einnahmen besonders in den Tourismus-Hochburgen einbrechen, fürchten die Gegner der Initiative.

Die Volksinitiative „Rettet unser Schweizer Gold“

verlangt, dass der Goldanteil am Vermögen der Nationalbank auf mindestens 20 Prozent erhöht wird. Das Gold soll unverkäuflich sein und vollständig in der Schweiz gelagert werden, damit „die Nationalbank sich wieder auf ein solides Fundament stützen kann“. Um den Goldanteil zu halten, müsste die Schweizer Nationalbank bei jedem Kauf von fremden Währungen auch Gold kaufen – da sie das Gold aber nie mehr verkaufen dürfte, würde sich der Goldanteil an ihren Reserven erhöhen. An den internationalen Finanzmärkten geht man davon aus, dass dadurch der Goldpreis gestützt und die Schweizer Nationalbank mit ihrer Politik, eine übermäßige Aufwertung des Schweizer Frankens zu verhindern, geschwächt würde. Für Spekulanten wäre es damit wesentlich leichter, auf die Aufwertung des Frankens zu wetten als bisher.

Bundesrat und Parlament empfehlen den Stimmberechtigten, alle drei Initiativen abzulehnen. Umfragen lassen vermuten, dass alle drei Initiativen keine Mehrheit bekommen. Doch gerade im Fall der Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ sprachen die Umfragen bis zuletzt gegen einen Erfolg der umstrittenen Vorlage, die dann doch angenommen wurde.

Informationen zu den drei aktuellen Volksabstimmungen: www.bk.admin.ch/themen/pore/va/20141130/index.html

Übersicht über bisherige Volksabstimmungen in der Schweiz: www.admin.ch/ch/d/pore/va/vab_2_2_4_1.html

 

Teilen:
nach oben