Volksabstimmungen in Deutschland: Aus kalifornischen Erfahrungen lernen

[55/11] 100 Jahre direkte Demokratie in Kalifornien

Genau 100 Jahre ist es am 10. Oktober her, dass die Kalifornier per Volksabstimmung neben dem Frauenwahlrecht auch Volksinitiativen von unten, Referenden von oben und Recall-Verfahren zur Abwahl von Amtsträgern beschlossen. Damit hat der größte US-Bundesstaat eine der ältesten modernen direkten Demokratien weltweit. In Deutschland dient Kalifornien oft als Negativbeispiel, wenn es um die Auswirkungen der direkten Demokratie geht. Doch bei näherem Hinsehen sind die Argumente der Volksentscheids-Gegner mit Blick auf die Bundesrepublik nicht haltbar, sagt Mehr Demokratie-Vorstandssprecher Ralf-Uwe Beck, der jüngst auf den Spuren der direkten Demokratie durch den Westen der USA gereist ist.

„In Deutschland belebt die direkte Demokratie die öffentliche Debatte und die Arbeit der Parlamente. In Kalifornien aber sind die direkte und die repräsentative Demokratie kaum verzahnt“, so Beck. Das erklärt sich vor allem aus der Geschichte: Die direkte Demokratie in Kalifornien entstand als Gegenmodell zur korrupt gewordenen repräsentativen Demokratie. Angestoßen wurden die Reformen von Gouverneur Hiram Johnson. Ihm ging es vor allem darum, den politischen Einfluss der Bahngesellschaft Southern Pacific zurückzudrängen. Der übermächtige Konzern hatte die Politik für die Durchsetzung eigener Interessen gekauft.

Dass mittlerweile auch bei der direkten Demokratie in Kalifornien der Einfluss des Geldes groß ist, führt Beck unter anderem auf die Sammelbedingungen zurück: „Wenn in fünf Monaten zwischen fünf und acht Prozent, gemessen an der Beteiligung zur letzten Gouverneurswahl, unterschreiben müssen, ist das ohne bezahlte Unterschriftensammler kaum zu leisten.“ Abhilfe könnte hier neben der Senkung der Hürden auch eine Kostenerstattung für Initiativen schaffen, die es in Deutschland bereits in mehreren Bundesländern gibt. Als vorbildlich sind die kalifornischen Transparenzregeln zu werten. Spenden an die Initiative müssen veröffentlicht werden.

Die häufige Behauptung, dass Kalifornien vom eigenen Volk ruiniert worden sei, kann Beck nicht bestätigen. Mit 75 Mrd. Dollar ist der Staat weniger hoch verschuldet als die Stadt Berlin und damit von einem Bankrott weit entfernt. „Zudem sind es meist nicht die von Bürgern gestarteten Initiativen, sondern von oben angesetzte Referenden, die zu Mehrausgaben führen“, stellt Beck klar. Sind diese einmal per Volksentscheid beschlossen, kann das Parlament dies nur noch mit einer qualifizierten Mehrheit ändern.

„Die entscheidende Stellschraube für eine Reform der direkten Demokratie in Kalifornien ist das Verhältnis zur repräsentativen Demokratie. Wie in Deutschland sollte das Parlament über Initiativen aus dem Volk beraten und es sollte um die besten Lösungen gerungen werden“, fasst Beck zusammen. Dazu gehört auch, dass Volksentscheide ebenso wie Parlamentsentscheidungen revidierbar sein müssen. Außerdem sei es sinnvoll, Alternativvorlagen aus dem Parlament mit zur Abstimmung zu stellen. Es sei zu kurz gedacht, die direkte Demokratie in Kalifornien als abschreckendes Beispiel darzustellen, so Beck. „Aus den Erfahrungen der Kalifornier können wir in Deutschland bei der Einführung bundesweiter Volksabstimmungen einiges lernen.“

Übersicht und Diskussion direkte Demokratie in den USA: 

Blog zur USA-Tour: <link>Unterwegs in den Hochburgen der Direkten Demokratie

Bein Rückfragen: Ralf-Uwe Beck, Tel.: 0172/7962982

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