Volksbegehrensbericht 2005: Licht und Schatten

10/06

Zahl der Initiativen ging leicht zurück / Reform in Berlin, Probleme in Hamburg

Die direktdemokratische Bilanz des Jahres 2005 ist gemischt. Das stellt der Verein Mehr Demokratie in seinem heute in Berlin veröffentlichten "Volksbegehrensbericht 2005" fest. Die Zahl neu eingeleiteter Initiativen ging ebenso wie die Zahl laufender Verfahren im Vergleich zum Vorjahr leicht zurück. In Berlin wurden die Mitspracherechte durch die Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in den Bezirken erheblich erweitert. In Hamburg hingegen versuchte die Landesregierung den Einfluss der Bürger durch eine Reform der Volksgesetzgebung zu beschneiden.

 

Mehr Demokratie-Vorstandssprecherin Claudine Nierth machte für die geringere Nutzung direktdemokratischer Verfahren auch mangelnden Respekt der Politiker vor den Bürgern verantwortlich. "Wer will, dass sich die Menschen politisch beteiligen, darf ihnen keine Steine in den Weg legen", forderte Nierth. "Wer hingegen Entscheidungen des Souveräns ignoriert oder revidiert und Beteiligungsrechte beschneidet, darf sich nicht wundern, wenn das Engagement der Menschen abnimmt", sagte sie mit Blick auf Hamburg. Der Senat der Hansestadt hatte sich wiederholt über Volksabstimmungen hinweggesetzt und Volksbegehren und Volksentscheide im vergangenen Jahr erheblich erschwert.

 

Ein positives Beispiel sieht Nierth in den Entwicklungen in der Hauptstadt. "Die Regelungen für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in den Berliner Bezirken, die 2005 eingeführt wurden, sind bundesweit vorbildlich. Viele Initiativen nutzen das neue Beteiligungsinstrument bereits." Dass inzwischen alle Berliner Parteien gemeinsam an einer Reform der landesweiten Volksgesetzgebung arbeiten, sei konsequent: "Nur so kann der zunehmenden Politikverdrossenheit entgegengewirkt werden."

 

Neun direktdemokratische Verfahren wurden im vergangenen Jahr neu eingeleitet (2004: zehn). Siebenmal starteten die Bürger eine Volksinitiative oder beantragten ein Volksbegehren, zweimal nutzten sie unverbindliche Volkspetitionen, um ein politisches Anliegen durchzusetzen. Insgesamt verzeichnete Mehr Demokratie 20 laufende Verfahren (2004: 28). Die Gesamtzahl der seit 1949 gestarteten Volksinitiativen und Volksbegehren stieg damit auf 172, die der Volkspetitionen auf 32.

 

Wie in den Vorjahren konnten große Unterschiede in der regionalen Verteilung festgestellt werden. Die meisten Initiativen gab es erneut in Hamburg (vier), gefolgt von Bayern und Niedersachsen (je drei), Nordrhein-Westfalen und Saarland (je zwei) sowie Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein (je eine). In fünf Bundesländern (Brandenburg, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen) fanden keinerlei direktdemokratische Aktivitäten statt.

 

Inhaltliche Schwerpunkte waren die Bereiche Bildung und Kultur und Demokratie und Innenpolitik, die jeweils ein Drittel der neu eingeleiteten Verfahren ausmachten. Daneben gab es Initiativen zu Fragen aus den Bereichen Soziales und Wirtschaft. Getragen wurden die neuen Initiativen vor allem von Aktionsbündnissen, selten von einzelnen Verbänden.

 

Nur bei zwei von zehn im vergangenen Jahr abgeschlossenen Verfahren waren die Initiatoren mit ihrem Anliegen ganz oder teilweise erfolgreich. So entsprach der Landtag in Nordrhein-Westfalen der auf dem Weg einer Volkspetition vorgebrachten Forderung nach einer Reform der Abgeordnetendiäten. Das Volksbegehren "Bildung ist keine Ware" erzielte hingegen nur einen Teilerfolg: Zwar konnten die Initiatoren die Privatisierung der Hamburger Berufsschulen verhindern. Diese wurden jedoch nicht wie gefordert in eine Stiftung umgewandelt, sondern einem Landesinstitut unterstellt. Insgesamt lag die direkte Erfolgsquote der abgeschlossenen Verfahren mit 15 Prozent deutlich unter dem langfristigen Durchschnitt von 25 Prozent.

 

Der einzige Volksentscheid des Jahres, der erste in der Geschichte Sachsen-Anhalts, scheiterte am 23. Januar "unecht". Obwohl eine klare Mehrheit der Abstimmenden für den Vorschlag des Volksbegehrens "Für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt“ votierte, lag die Zustimmung mit 15,9 Prozent der Wahlberechtigten unter den von der Landesverfassung vorgeschriebenen 25 Prozent. Auch die beiden Volksbegehren des Jahres scheiterten an den zu hohen Hürden. Weder die Initiative "G 9" noch das Volksbegehren "Für Gesundheitsvorsorge beim Mobilfunk" konnten in Bayern die erforderliche Unterstützung durch zehn Prozent der Wahlberechtigten nachweisen.

 

Reformiert wurden die gesetzlichen Grundlagen der direkten Demokratie nicht nur in Hamburg und Berlin. Auch in Baden-Württemberg wurden kommunale Bürgerbegehren und Bürgerentscheide erleichtert. In Niedersachen wurde die Unterschriftenhürde bei Bürgerbegehren in großen Städten angehoben.

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