FAQ zur Wahlrechtsreform

  • Was ist die Wahlrechtskommission?

    Die Einsetzung einer Wahlrechtskommission wurde am 16. März 2022 vom Bundestag beschlossen. Sie ist mit dem Auftrag betraut, vorzuschlagen, wie das Wahlrecht und die Parlamentsarbeit reformiert werden können. Die Kommission ist zur Hälfte mit Abgeordneten und zur Hälfte mit externen Sachverständigen besetzt – deshalb heißt sie auch Kommission und ist kein Ausschuss. Bis April 2023 wird die Kommission ihren Abschlussbericht vorlegen, der maßgeblichen Einfluss auf die im Koalitionsvertrag vereinbarte Wahlrechtsreform haben wird. Die Kommission hat bis zum 1. Dezember 2022 öffentlich getagt. Mehr Infos auf unserem Liveticker: https://www.mehr-demokratie.de/themen/wahlrecht/reform-des-bundestagswahlrechts/reform-des-bundestagswahlrechts finden sich alle genaueren Infos.

  • Warum soll die Legislaturperiode verlängert werden?

    Auf der zehnten Sitzung der Wahlrechtskommission wurde unter anderem die Verlängerung der Wahlperiode thematisiert: Als Hauptgrund wird eine Steigerung der Effizient genannt. Das Parteienspektrum wird diverser, wirkliche „Volksparteien“ gibt es nicht mehr. Auch deshalb werden Koalitionsverhandlungen immer komplizierter und dadurch langwieriger. Zunehmende Krisen lenken, so die Empfindung der Regierungskoalitionen, von der eigentliche Regierungsarbeit ab. Zudem überlagert der Wahlkampf am Ende einer Wahlperiode die produktive Parlamentsarbeit. Die Quintessenz der Argumentation: Weniger Wahlen führen zu einer effizienteren parlamentarischen Arbeit. Die gewählten Abgeordneten könnten, so die Argumentation, dank einer längeren Legislaturperiode eine bessere und der Bevölkerung dienlichere Politik machen – der demokratische Wille werde besser verwirklicht.

  • Wieso scheint die Debatte um eine längere Legislaturperiode von politischen Eigeninteressen geprägt?

    Die Politiker und Politikerinnen sprachen sich in der Kommission für eine Verlängerung der Wahlperiode, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegen eine Verlängerung aus. Das ist besonders interessant, da die Fronten bei den weiteren Themen anders verliefen: Die einzelnen Parteien und die von ihnen benannten Sachverständigen vertraten bei anderen Themen ähnliche Positionen, die wiederum denen der anderen Parteien und deren Sachverständigen entgegenstanden. Dass alle Parteimitglieder sich nun bei der Verlängerung der Wahlperiode einig sind, lässt darauf schließen, dass hier eher im Eigeninteresse entschieden wurde.

  • Warum ist Mehr Demokratie gegen eine fünf Jahre dauernde Legislaturperiode?

    Auf Bundesebene sind Wahlen die einzige Möglichkeit, Politik verbindlich mitzubestimmen. Eine Verlängerung der Wahlperiode geht mit einer Reduzierung der Mitbestimmungsmöglichkeiten einher. Genau genommen bedeutet es 20 Prozent weniger Demokratie, wenn man davon ausgeht, dass während einer durchschnittlichen Lebenszeit von 80 Jahren 15 mal der Bundestag gewählt wird. Wird die Wahlperiode auf fünf Jahre verlängert, sind es nur noch zwölf Wahlen. Zudem würde bei einer fünfjährigen Wahlperiode die Bundestagswahl sich immer auf dieselbe Landtagswahl auswirken; es wäre von einer Verzerrung des Willens der Wählerschaft auszugehen. Auch dies spricht gegen eine Verlängerung der Wahlperiode.

  • Warum verlangt Mehr Demokratie bei einer Verlängerung der Wahlperiode die Einführung des bundesweiten Volksentscheids?

    Kommt es trotz der genannten Argumente zu einer Verlängerung der Wahlperiode muss dieses Weniger an Kontroll- und Einflussmöglichkeit ausgeglichen werden. Das geht nur, indem auch zwischen den Wahlen – wie in allen Bundesländern – verbindliche Möglichkeiten bestehen, Politik wirksam zu beeinflussen. Eingelöst werden kann das nur mit der direkten Demokratie. Deshalb müsste gleichzeitig mit einer Verlängerung der Wahlperiode bundesweite Volksentscheide eingeführt werden. Für beides – die Verlängerung der Wahlperiode, wie auch die Einführung des bundesweiten Volksentscheids – braucht es eine Grundgesetzänderung; es lässt sich also in einem Reformpaket verabschieden.

  • Warum verschlechtert es die demokratische Qualität, wenn auf auf Bundesebene alle fünf Jahre gewählt wird?

    Die Wahlperioden der Länder (mit Ausnahme von Bremen) liegen bei fünf Jahren. Würde die Wahlperiode auf Bundesebene ebenfalls verlängert, würde der Abstand zwischen Bundestagswahl und der jeweiligen Landtagswahl immer gleich bleiben. Es ist allerdings empirisch erwiesen, dass die Bundestagwahl je nach zeitlicher Entfernung einen unterschiedlichen Einfluss auf die Landtagswahlen hat. Fallen beide Wahlen auf einen Termin oder liegen nah beieinander, drohen nationale Themen die Landesthemen zu überschatten. Wenn die Wahlen zeitlich weiter auseinander liegen, droht ein „Mid-Term“-Effekt wie man ihn aus den USA kennt: Die Bundesregierung wird in der Mitte der Legislaturperiode abgestraft. Momentan verschieben sich die Abstände zwischen den Wahlen aufgrund der unterschiedlich langen Wahlperioden immer wieder, sodass jedes Bundesland im Wechsel den unterschiedlichen Einflüssen unterliegt. Bei einer fünf Jahre dauernden Legislaturperiode wäre dies nicht mehr der Fall.

  • Welche Möglichkeiten für bessere Parlamentsarbeit gibt es unabhängig von der Legislaturperiode?

    Die Mehrheitsregierungen in Deutschland führen teilweise zu demokratischen Blockaden. Um eine Regierung zu bilden, müssen sich mehrere Parteien in oft zähen Koalitionsverhandlungen auf Positionen zu diversen Themen einigen – und dann tut sich in den nächsten Jahren nicht mehr als da aufgeschrieben wurde. Flexibler als fest zementierte Koalitionsverträge wäre es, themenspezifische Koalitionen zu bilden. Vorbilder hierfür liefern die Minderheitenregierungen der skandinavischen Länder und das Konkordanzsystem der Schweiz.

    Eine weitere Möglichkeit, den Einfluss von Wahlen auf die Parlamentsarbeit zu verringern, wäre die Einführung weiterer Partizipationsmöglichkeiten. Dazu zählen die Volksgesetzgebung, das fakultative Referendum oder geloste Bürgerräte. Diese Instrumente funktionieren unabhängig von Parteien und sind dementsprechend nicht auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, die mit jeder Wahl wechseln können, angewiesen. Auch Veränderungen in der politischen Kultur könnten die Parlamentsarbeit verbessern: Zu oft werden bisher ein Jahr vor der Wahl die Hände in den Schoß gelegt und keine relevanten politischen Schritte mehr unternommen, zu früh verfallen dann selbst Koalitionspartner in parteipolitisch gefärbten Schlagabtausch. Eine weniger parteipolitisch und stärker sachpolitisch ausgerichtete Politik könnte mehr verändern als eine längere Legislaturperiode.

  • Wieso ist allein die direkte Demokratie ein adäquater Ausgleich für längere Legislaturperioden?

    Die direkte Demokratie ist außer den Wahlen die einzige Möglichkeit für die Bevölkerung, von ihrem Kontrollrecht der Politik gegenüber Gebrauch zu machen. Durch die Volksgesetzgebung, also Volksinitiativen, Volksbegehren und -entscheide, können die Bürgerinnen und Bürger selbst Gesetzesvorschläge in das Parlament einbringen und – wenn das Parlament den Vorschlag nicht annimmt – darüber abstimmen. Mit dem Volkseinwand bekommen die Bürgerinnen und Bürger ein Veto-Recht beim Gesetzgebungsprozess. Auch Abwahl-Entscheide stellen eine wichtige Kontrollmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger gegenüber den Gewählten dar – das hat die Abwahl des Oberbürgermeisters von Frankfurt am Main, Peter Feldmann, im November 2022 eindrucksvoll gezeigt. Im Idealfall sollten auch diese „Recall“- oder Abberufungs-Verfahren von den Bürgerinnen und Bürgern direkt angestoßen werden können.

  • Warum sind Bürgerräte allein kein Ausgleich für eine längere Legislaturperiode?

    Bürgerräte, ebenfalls ein wichtiges Instrument auch in der Bundespolitik, dienen nicht zur Entscheidung oder Kontrolle, sondern vielmehr dazu, neue Perspektiven oder Lösungsvorschläge in die Politik einzubringen. Zudem können sich bei Bürgerräten auf Grund des Losverfahrens jeweils nur wenige beteiligen, nämlich die Gelosten. Bürgerräte haben damit einen hohen Wert, um Ratschläge und Hinweise im Sinne eines Querschnitts der Bevölkerung zu geben, nicht aber, um verbindlich politisch mitzubestimmen. Die direkte Demokratie bietet damit die einzige Kompensationsmöglichkeit.

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