Polarisierung überwinden – Kommunale Resilienz stärken

Ein Dialogprojekt von Mehr Demokratie im Superwahljahr 2024

Die verschiedenen und einander überlagernden Krisen unserer Zeit stellen die Demokratie vor enorme Herausforderungen. Die Corona-Pandemie, die Klimakrise und zuletzt der Ukraine-Krieg machen nicht bearbeitete persönliche wie kollektive Erfahrungen der Verletzung, Beschämung, Ausgrenzung und des Verlustes sichtbarer. Mehr Demokratie e. V. hat sich im Rahmen des anwendungsorientierten Forschungsprojektes »Polarisierung in Krisen überwinden« der gesellschaftlichen Spaltung intensiver zugewandt. Die Forschungsergebnisse verdeutlichen den Bedarf an neuen kommunikativen Räumen, in denen gemeinsame Sinnfindung und demokratische Verständigung stattfinden können.

Unsere Erfahrung ist: Wenn Menschen in ihrem persönlichen Erleben und mit ihren Bedürfnissen gesehen werden, ist Demokratie nicht nur verstandesmäßig, sondern auch emotional erfahrbar. Dadurch wird Demokratie von etwas „da draußen“ zu einer persönlichen Erfahrung, die Mut macht und die Motivation zur Teilhabe stärkt.

Ebensolche gesellschaftlichen Räume, in denen sich Bürger und Bürgerinnen in ihrem persönlichen Erleben begegnen und wahrnehmen lernen, schafft Mehr Demokratie im Wahljahr 2024 in Brandenburg. Finanziert durch die Koordinierungsstelle »Tolerantes Brandenburg« der Staatskanzlei Brandenburg werden bis Ende 2024 verschiedene Dialogformate in Kooperation mit Kommunen, Bürgerinitiativen und Verbänden in Brandenburg pilothaft umgesetzt. Um Potenziale und Grenzen der Dialoge in stark polarisierten Settings besser zu verstehen, soll die Umsetzung durch eine Forschung begleitet werden.

Mehr Demokratie lädt Menschen ein, Trennendes und Verbindendes in der direkten Begegnung gemeinsam zu erforschen: Wie können wir Meinungsdifferenzen überbrücken oder zumindest aushalten? Wie können wir in Beziehung bleiben, auch wenn wir die Ansichten anderer nicht teilen oder sogar verachten? Wo liegen die Grenzen der Verständigung angesichts extremistischer, rassistischer und menschenfeindlicher Ansichten und Argumente?

Damit diese Fragen konstruktiv bearbeitet werden können, brauchen wir eine Dialogkultur, die auf Verbindung und Wertschätzung ausgerichtet ist, klare Regeln der Kommunikation hat sowie geschulte Moderatoren und Moderatorinnen einbezieht. Die von Mehr Demokratie entwickelte Methode Sprechen & Zuhören vereint diese Anforderungen und wird in verschiedenen Formaten mit unterschiedlichen Zielgruppen umgesetzt.

Erfahrungsbericht:Dritter Bürgerdialog in Bad Belzig – Sprechen und Zuhören zur Corona-Pandemie

Am Freitag den 12. April 2024 fand im Kulturzentrum in Bad Belzig ein Bürgerdialog statt. Es war bereits der dritte Dialog der Reihe „Weil wir hier leben! Gespräche von Mensch zu Mensch“. Thematisch ging es dieses Mal um die Corona-Maßnahmen und den Umgang mit den Gefühlen und Nachwirkungen aus der Pandemie-Zeit, die angesichts der kürzlich veröffentlichten „RKI-Files“ wieder aufkommen.

Um die 40 Personen aus Bad Belzig und Umgebung kamen zusammen und teilten unter Anleitung der Moderation von Roman Huber und Josef Merk von Mehr Demokratie e. V. ihre persönlichen Erlebnisse im Zusammenhang mit der Pandemie. Das Format „Sprechen & Zuhören“ erlaubte einen sicheren Raum, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmern zunächst in kleinen Gruppen ihre Erfahrungen sowie die Folgen der Pandemie für ihr Leben und das gesellschaftliche Zusammenleben mitteilen konnten.

Nach einer Pause mit Kartoffelsuppe und Brot fanden sich alle in einem großen Stehkreis zusammen. Jetzt konnten Einzelne in die Mitte treten und wesentliche Aspekte ihrer Erfahrung mit den Anwesenden teilen. Dabei wurde deutlich, wie unterschiedlich die Erlebnisse und Positionen in Bezug auf die Corona-Pandemie sind und wieviel Schmerz, Verlust und Ohnmacht noch nicht verarbeitet werden konnte. Wir sind dankbar für die Bereitschaft der Menschen in Bad Belzig, sich angesichts tiefer Gräben einander zuzuwenden und zuzumuten und freuen uns auf den nächsten Dialog am 14. Mai 2024!

Methoden

Sprechen & Zuhören

Sprechen & Zuhören ist ein von Mehr Demokratie entwickeltes und vielfach erprobtes Dialogformat, das die Gefühls- und Beziehungsebene berücksichtigt und unabhängig von Sprachgeschick und Hintergrund alle Teilnehmenden gleichberechtigt zu Wort kommen lässt. Das stark strukturierte und einfache Format ermöglicht ein achtsames Wahrnehmen der eigenen und fremden Einstellungen und Positionen. Sprechen & Zuhören kann ohne großen Aufwand erlernt und auch von lokalen Akteuren umgesetzt werden. Ergänzt wird das Format durch trauma-informierte Großgruppenprozesse und demokratische Systemaufstellungen.

Demokratische Systemaufstellungen

Demokratische Systemaufstellungen können im Rahmen eines Dialogs oder separat stattfinden. Sie ermöglichen den Teilnehmenden, gesellschaftliche Positionen räumlich darzustellen. Dadurch werden Beziehungen zwischen mehreren Gruppen sichtbar und es wird leichter möglich, verschiedene Perspektiven gleichzeitig wahrzunehmen. Dadurch werden auch Erfahrungen von Gruppen sichtbar, die oft weniger Beachtung finden. Zudem zeigt das Verfahren, dass Gesellschaft und politische Themen nicht nur rational, sondern auch auf einer emotionalen Ebene wirken. Teilnehmende erlangen dadurch mehr Bewusstheit über ihre eigene Position und können sich zu politisch Andersdenkenden neu ins Verhältnis setzen: abgegrenzt und trotzdem in Beziehung.

Formate

Dialoge zwischen unterschiedlichen Gruppen (Intergruppen-Dialoge)

In diesen Dialogen werden Menschen einbezogen, die (starke) Unterschiede in Bezug auf ihr Demokratieverständnis und ihre politische Ausrichtung aufweisen. Unterschiedliche Gruppen können zum Beispiel Alteingesessene und Zugezogene (inkl. Geflüchteter), Ökos und Konservative, Geimpfte und Ungeimpfte, Wirtschaftsliberale und kapitalismuskritische Menschen sein. Die Auswahl richtet sich stark nach örtlichen Konfliktlinien und lokalen Gegebenheiten.

Vernetzungs- und Austauschräume für Kommunalpolitik

Um die Belastbarkeit der Gesellschaft auf kommunaler Ebene zu stärken, schafft Mehr Demokratie im Rahmen des Projektes zusätzlich spezielle Vernetzungs- und Austauschräume für Kommunalpolitiker und Kommunalpolitikerinnen sowie für Menschen, die sich zum Teil schon seit Jahren in Brandenburg für eine vielfältige und demokratische Kultur einsetzen. Das Angebot richtet sich an alte und neu gewählte Gemeindevertretungen, Ortsvorsteher und Ortsvorsteherinnen sowie Ortsbeiräte nach den Kommunalwahlen im Juni 2024.

Losbasierte Dialoge

Losbasierte Beteiligungsformate stellen eine große Chance dar, Stimmen sichtbar zu machen, die sonst in der politischen Diskussion nicht präsent sind. Über die Auswahl und Einladung per Losverfahren kommen Menschen verschiedener gesellschaftlicher Milieus und politischer Ausrichtung jenseits ihrer Informationsblasen und Echokammern in Kontakt. So können auch demokratieskeptische Menschen einbezogen werden.

Tiefere Reflektionsräume für Engagierte

Mehr Demokratie schafft Räume für Menschen, die sich schon seit Jahren aktiv für Demokratie, Menschenrechte und Vielfalt in Brandenburg einsetzen. Diese Räume dienen der eigenen Standortbestimmung und Selbstreflexion. Angesichts des Anwachsens antidemokratischer Kräfte und zum Teil neuer Bedrohungslagen rechtsextremer Gruppierungen scheinen bisherige Strategien an Grenzen zu stoßen. Ziel der Reflexionsräume ist, gemeinsam die Handlungsfähigkeit zu erweitern und wirksamer in Bezug auf Demokratieentwicklung werden zu können.

Gefördert mit Mitteln des Bündnisses für Brandenburg

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