Was ist ein Bürgerrat?

Das Besondere an Bürgerräten ist, dass die Teilnehmenden zufällig aus der Bevölkerung ausgelost werden. Akademiker sitzen dort neben Handwerkerinnen, Rentnerinnen neben Jugendlichen, hier geborene Menschen neben Zugewanderten. Ihre Aufgabe ist es, gemeinsam Lösungen für politische Probleme vorzuschlagen. Diese Empfehlungen werden dem jeweils zuständigen Parlament oder Gemeinderat zur Beratung vorgelegt. Welche Klimaschutzmaßnahmen soll Deutschland ergreifen? Wie soll die Pflege in Zukunft organisiert werden? Wie soll die Bildungspolitik des Landes aussehen? Diese und viele andere Themen können in einem Bürgerrat diskutiert werden.

Wie funktioniert ein Bürgerrat?

Von der Vorbereitung bis zur Ergebnisumsetzung durchläuft ein Bürgerrat vier Stufen. Unsere Übersicht zeigt, was in den einzelnen Stufen passiert.

 

Phase 1

Vorbereitung

In der Vorbereitungsphase des Bürgerrates wird das Thema bestimmt, über das die Mitglieder der Losversammlung beraten sollen. Dann werden Menschen aus der Bevölkerung hierfür zufällig ausgelost und zur Teilnahme am Bürgerrat eingeladen.

 

Phase 2

Geloster Bürgerrat

Während des Bürgerrates erhalten die Teilnehmenden von Expertinnen und Experten Informationen zum jeweiligen Thema. In kleinen Tischgruppen diskutieren die Ausgelosten über das Gehörte und formulieren Fragen und Ideen dazu. Die Diskussionen werden professionell moderiert. Am Ende entwickeln die Bürgerrat-Mitglieder gemeinsam Handlungsempfehlungen.

 

Phase 3

Übergabe

Die in einem Bürgergutachten zusammengefassten Empfehlungen des Bürgerrates werden an den Gemeinderat/das Parlament übergeben.

 

Phase 4

Umsetzung

Die Empfehlungen des Bürgerrates werden im Gemeinderat/Parlament behandelt. Dort wird über die Annahme, veränderte Übernahme oder Ablehnung der Bürgerrat-Vorschläge entschieden.

Was bringen Bürgerräte?

Bürgerräte haben vielerlei positive Wirkungen auf Demokratie und Politik. Hier eine Übersicht:

Zeit und Raum für echte Debatten: Die sozialen, wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Folgen von Maßnahmen können gut durchdacht und besprochen werden.

Aufbau von Vertrauen: Die Teilnehmenden verstehen die Arbeit der Politik besser. Sie kommen auch untereinander jenseits von Informationsblasen und Echokammern in Kontakt.

Wegweiser-Funktion: Die Politik nimmt die Bevölkerung besser wahr und weiß bei konkreten Maßnahmen genau, bis wohin die Bürgerinnen mitgehen können und wollen. Mehrheitsfähige Lösungen werden sichtbar.

Mehr als Meinungsumfragen: Bürgerräte ermöglichen inhaltliche Vertiefung, Auseinandersetzung mit Fachwissen, Diskussion und persönlichen Austausch.

Einbindung aller: Das Phänomen, dass sich bestimmte soziale Gruppen wenig politisch beteiligen, wird vermindert. Dafür sorgt vor allem das Losverfahren, aber auch die Zahlung von Verdienstausfall, Unterstützung bei Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen und Übersetzung.

Lobbykontrolle: Das Verfahren ist transparent und wenig anfällig für Lobbyeinflüsse.

Wertschätzung: Die Diskussion verläuft fair und faktenbasiert. Wenn Menschen einander direkt begegnen, haben Hass und manipulierte Nachrichten kaum eine Chance.

Die Ergebnisse unterstützen Parlamente und Räte bei Entscheidungsprozessen.

Vielfalt als Stärke

Die vielfältige Zusammensetzung der Bürgerräte ist dabei deren besondere Stärke. Untersuchungen zeigen, dass eine Gruppe ganz unterschiedlicher Bürgerinnen und Bürger zu besseren Lösungen kommt als eine Gruppe von einander ähnlichen Menschen. Unterschiedliche Lebens- und Ausbildungswege führen zu unterschiedlichen Perspektiven, die alle in einem Bürgerrat zusammengeführt werden. Themen werden so aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. So entstehen Lösungen aus der Basis vielfältiger Erfahrungswerte und Lebensumstände.

Die Teilnehmenden eines Bürgerrates werden per Losverfahren aus den Einwohnermelderegistern der Städte und Gemeinden ermittelt. Die Ausgelosten werden angeschrieben und eingeladen, sich für eine Teilnahme am anstehenden Bürgerrat zu bewerben. Dabei machen die Bewerberinnen und Bewerber Angaben, die aus den Einwohnermelderegistern nicht hervorgehen, z.B. zu ihrem Bildungsabschluss oder einem Migrationshintergrund. Anhand dieser Angaben und den bereits vorhandenen Daten zu Geschlecht, Alter und Wohnort wird eine Gruppe gebildet, die in ihrer Zusammensetzung ein möglichst gutes Abbild der Bevölkerung darstellt. So ist z.B. jeder Bürgerrat zur Hälfte mit Frauen besetzt. Sämtliche Kosten der Teilnehmenden werden übernommen und ein Kümmern um die Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen wird ebenso angeboten, wie die Barrierefreiheit des Veranstaltungsortes garantiert wird.

Wissensvermittlung und Moderation

In einem Bürgerrat erlangen die Teilnehmenden durch Expertinnen und Experten das Wissen, das zur Formulierung von Handlungsempfehlungen notwendig ist. Die Ausgelosten hören Vorträge und Diskussionen und können dazu Fragen stellen. Die Gruppe der Fachleute wird so zusammengestellt, dass sie möglichst vielfältig ist und ausgewogen das Pro & Kontra politischer Handlungsmöglichkeiten beleuchten.

In professionell moderierten Tischgruppen mit bis zu acht Menschen finden Diskussionen über das Gehörte statt. Die Tischgruppen diskutieren in geschützten Raum, wenn also beobachtend Menschen aus der Politik oder von den Medien dabei sind, darf nichts nach außen dringen. So kann sich eine ehrliche und ergebnisoffene Diskussion entfalten. Die Moderation achtet darauf, dass alle Menschen am Tisch gleichermaßen zu Wort kommen. In den Tischdiskussionen werden auch Handlungsempfehlungen entwickelt, die am Ende des Bürgerrates von allen beraten und abgestimmt werden.

Empfehlungen unverbindlich

Da Bürgerrat-Mitglieder nicht gewählt werden und somit kein Mandat aus der Bevölkerung haben, sind deren Empfehlungen formal unverbindlich. Nichtsdestotrotz werden die Empfehlungen solcher Losversammlungen nicht selten bei politischen Entscheidungen von Parlamenten und Gemeinderäten berücksichtigt. Auch ist es möglich, Bürgerräte mit den verbindlichen Verfahren direkter Demokratie zu verknüpfenund allen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben, über Bürgerrat-Empfehlungen in einem Volks- oder Bürgerentscheid abzustimmen.

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