Prozessdauer in der Gesetzgebung: Wieviel Zeit bleibt den Abgeordneten tatsächlich?
Das Gebäudeenergiegesetz und die Änderung des Wahlgesetzes haben eine Debatte über Abläufe von Gesetzgebungsverfahren ausgelöst. Der Vorwurf lautete, insbesondere die Ampel-Koalition würde zu häufig Gesetzentwürfe kurzfristig vorgelegen und damit eine sachgerechte Auseinandersetzung verhindern. Auch die nun verabschiedeten Gesetzentwürfe zum Sondervermögen für Infrastruktur und zur Lockerung der Schuldenbremse mit einem Finanzvolumen von einer Billionen Euro wurden in wenigen Tagen durch das Parlament gebracht.
Wir von Mehr Demokratie haben die Prozessdauer von Gesetzen der 19. und 20. Wahlperiode unter die Lupe genommen: Wieviel Zeit steht den Abgeordneten für ihre Kernaufgabe zur Verfügung?
Untersuchungszeitraum
19. Wahlperiode: 06.11.2019 – 22.6.2021
20. Wahlperiode: 16.11.2021 – 05.07.2023
Änderungsanträge: 01.01.2023 – 15.04.2024
Ergebnisse
- Betrachtet man die Gesetzgebungsverfahren, bei denen die öffentliche Anhörung und die Beschlussempfehlung im federführenden Ausschuss sowie die abschließende Beratung im Plenum des Bundestages in derselben Woche stattfinden, so zeigt sich eine eng getaktete Verfahrensroutine. In der 19. Wahlperiode fanden in 19,4 Prozent, in der 20. Wahlperiode sogar 34,3 Prozent der Fälle in derselben Woche statt. Eine sachgerechte Berücksichtigung der Stellungnahmen der Sachverständigen in diesen Fällen ist somit kaum möglich.
- Dieses Bild bestätigt sich, betrachtet man den Zeitraum zwischen der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses und der abschließenden Beratung im Plenum des Bundestages. In der 19. Wahlperiode lagen in 86,9 Prozent der Fälle maximal zwei Tage zwischen den beiden Verfahrensschritten, in der 20. Wahlperiode waren es 87,6 Prozent. Es ist also der Normalfall. Erst mit der Beschlussempfehlung des Ausschusses steht fest, über welchen finalen Gesetzentwurf das Plenum abstimmen wird. Laut Artikel 38 GG haben alle Abgeordneten das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe. Dass zumindest theoretisch für alle die Möglichkeit besteht, die Gesetzmaterie zu sichten, darf bezweifelt werden.
- Entscheidend für die Leitfrage ist die verfügbare Zeit zwischen der Vorlage der Änderungsanträge und der Beschlussempfehlung im Ausschuss. Auch wenn nur ein Teil der Änderungsanträge betrachtet werden konnte, so ist doch ein Trend erkennbar. Von 43 auffindbaren Änderungsanträgen wurden 28, als knapp zwei Drittel, maximal zwei Tage vor der abschließenden Beratung im Ausschuss vorgelegt. Sicherlich lagen die Änderungsanträge den Regierungsfraktionen schon früher vor, jedoch muss auch für die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker der Opposition die Möglichkeit bestehen, sich in die Materie einzuarbeiten. Das scheint hier oft nicht möglich zu sein.
- Die Wahlperioden unterscheiden sich nicht gravierend. Die kurze Bearbeitungszeit ist ein grundsätzliches Problem.
Unsere Empfehlungen
In der Geschäftsordnung des Bundestages sollte eine Mindestfrist geregelt werden: Änderungsanträge sollten mindestens zwei Wochen vor der Abstimmung über die Beschlussempfehlung vorgelegt werden müssen.
Sollen Stellungnahmen von Sachverständigen ernsthaft Berücksichtigung im Gesetzgebungsprozess finden, sollten öffentliche Anhörungen nicht in derselben Sitzungswoche stattfinden, in der abschließend über das Gesetz im Plenum beraten wird. Da viele der Stellungnahmen bereits in der ministeriellen Gesetzesvorbereitung einfließen, sollte auch dieser Prozess für die Öffentlichkeit deutlich transparenter sein.


