Aufstellungen zu Demokratiethemen

Seit 2020 experimentieren und erproben wir mit Systemaufstellungen zur Demokratie. In diesen Aufstellungen verkörpern Menschen Elemente wie z.B. „die Gewählten”, „die Bevölkerung”, „direkte Demokratie”, „die Klima-Bewegung”, „ein politisches Ziel”. Der abstrakte Begriff „Demokratie“ wird mit Hilfe von Aufstellungen greifbarer; die Teilnehmenden machen eine konkrete Demokratie-Erfahrung.

2019: Dr. Josef Merk, Wirtschaftswissenschaftler mit Promotion in Psychologie, stößt bei einer Veranstaltung auf den Verein Mehr Demokratie und erkennt Bezüge zwischen den dort bewegten Demokratiefragen und seiner Arbeit als Berater und Coach. Der Mehr Demokratie-Vorstand beschließt, Aufstellungen im politischen Kontext auszuprobieren und zu erforschen.


01/2020 - 03/2021 Pilotphase: Ein Team rund um Josef Merk führt mit einem Kreis ausgewählter Menschen Aufstellungen zum Thema „Demokratie“ durch. Der Arbeitsbereich „Deepening Democracy“ entsteht bei Mehr Demokratie. Im Verlauf der fünf Aufstellungen während der Pilotphase wird 

  1. Ein eigenes und im Bereich der Systemaufstellungen völlig neues, partizipatives Auswertungsschema entwickelt. 
  2. Das Verfahren Systemaufstellung auf den politischen Kontext bzw. Demokratie angepasst.
  3. Thesen für ein besseres Verständnis des aktuellen Zustands unserer Demokratie formuliert

(https://www.zeitschrift-bewusstseinswissenschaften.de/index.php/ZfB/issue/view/28)


04/2021 - 05/2021: Deepening Democracy bewirbt sich im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne der Hertie-Stiftung, erreicht mit 605 Spendenden und 18.628€ Fundingsumme den 9. Platz und wird zusätzlich mit 10.000 € von der Hertie-Stiftung gefördert.


06/2021 - 06/2022: Erprobungsphase: Der Begriff „Politikfeldaufstellungen“ (engl. Policy Constellation) wird geprägt. Mit Hilfe der Förderung kann Deepening Democracy drei zivilgesellschaftliche Organisationen mit Politikfeldaufstellungen helfen, ihr Arbeitsfeld tiefer zu verstehen und neue Perspektiven zu ergründen.


01/2022 - 09/2022 Durchführung mehrerer Politikfeldaufstellungen im Mehr Demokratie-internen Kontext. Vorstellung der Methode Politikfeldaufstellung bei verschiedenen interessierten politischen Akteuren und Veranstaltungen durch Josef Merk u.a.


2023: Crowdfunding für die regelmäßige Durchführung von Aufstellungen zu Demokratiethemen für Mitglieder von Mehr Demokratie und Interessierte. Wissenschaftliche Begleitforschung in Kooperation mit der Universität Groningen.


 

Warum Aufstellungen demokratiestärkend sind

Eine Aufstellung ist ein Gruppenprozess, das seit den 1990ern vor allem in Familientherapie und Organisationsentwicklung eingesetzt und seit einigen Jahren auch zunehmend in der Forschung verwendet wird.

Bei Mehr Demokratie experimentieren wir seit 2020 mit Aufstellungen und haben ein Konzept speziell für die Untersuchung politischer Fragen entwickelt: Die Politikfeldaufstellung. Man kann es sich so vorstellen: In einer solchen Aufstellung werden Politikfelder in einer szenischen Simulation dargestellt. Wie in jeder Aufstellung repräsentieren Personen darin die Bestandteile aufgestellten Systems. Beispielhaft zeigt Abbildung 1 die Elemente Bevölkerung (A), die Politik (B), die Medien (C), die Wissenschaft (D) und die Wirtschaft (E). Die teilnehmenden Personen platzieren sich stellvertretend für diese Systembestandteile in einem Raum und positionieren sich in Bezug zueinander. Bereits die räumliche Anordnung regt dazu an, die gestellte Frage aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Die aufgestellten Personen sprechen im Verlauf des Prozesses auch für diese Elemente. 

Abbildung 1: Prinzip einer Politikfeld-Aufstellung. Eigene Grafik in Anlehnung an Prof. Dr. Georg Müller-Christ (Universität Bremen)

Die Zuschauenden haben bei einer Politikfeld-Aufstellung die Aufgabe, genau zuzuhören und das, was sie in der Aufstellung erfahren, mit ihren eigenen Ideen und Vorstellungen abzugleichen. Die einzige Voraussetzung dafür ist, dass sie sich auf das Gedankenexperiment einlassen, dass in der Aufstellung »wirklich« z.B. die Politik über eine Stimme zu ihnen spricht. Dann entfalten Aufstellungen ihre größte Wirkung. 

 

Politikfeld-Aufstellungen stärken die Demokratiefähigkeit

Wir haben mit Aufstellungen als Forschungsmethode im Kontext von Demokratiefragen gearbeitet und dabei ein neues Format von Aufstellungen entwickelt: Die Politikfeldaufstellung. Man kann es sich so vorstellen: In einer Politikfeldaufstellung werden Politikfelder modelliert und wie in einer Simulation dargestellt. Abbildung 1 zeigt das Prinzip einer Politikfeldaufstellung. Menschen repräsentieren dabei Elemente eines Originalsystems, z.B. die Bevölkerung (A), die Politik (B), die Medien (C), die Wissenschaft (D) und die Wirtschaft (E)

Die Zuschauenden sind dabei gefragt, sich auf das Gedankenexperiment einzulassen, dass in der Aufstellung “wirklich” die Politik oder die Wissenschaft über eine Stimme zu ihnen sprechen. Wenn das gelingt, dann entfalten Aufstellungen ihre größte Wirkung. Sie ermöglichen einen Blick von oben auf das gesellschaftliche Gefüge, indem man sich befindet. Dabei zeigen sie ganz neue Perspektiven auf und schaffen es, die gewohnten Denkmuster zu durchbrechen. Mit dem Ergebnis, dass ganz neue Handlungsmöglichkeiten aufgehen.

Durch die Erfahrungen in den Aufstellungen, sowohl intern wie auch mit mehreren Initiativen haben wir gelernt, worauf es ankommt, wenn Politikfelder aufgestellt werden. Im Folgenden wird begründen, inwiefern die Teilnahme an einer Politikfeldaufstellung die Demokratiefähigkeit stärkt. Die theoretischen Grundlagen für diese Ausführungen wurden vor allem durch Antje Schnarr (Projektmitarbeiterin) bereitgestellt.

(1) Selbstwahrnehmung als politisches Subjekt

In Aufstellungen erkennen sich die Zuschauenden selbst als politische Akteure, vorausgesetzt sie identifizieren sich mit einem der Elemente, wie z.B. die Bevölkerung, die Politik, ein Verein, etc. Sie erfahren nicht nur rein rational, sondern auch auf einer emotionalen Ebene, dass alle Elemente miteinander in Beziehung stehen und erkennen, dass alle Elemente Einfluss nehmen können. Beides zusammengenommen erhöht die Souveränität der Teilnehmenden auf individueller Ebene. Wer sich als politisches Subjekt erfährt, fühlt sich bemächtigter, politisch zu handeln und wer komplexe Zusammenhänge versteht, entdeckt auch leichter neue Möglichkeiten der Einflussnahme.

(2) Wahrnehmung verschiedener Perspektiven

Aufstellungen ermöglichen in kurzer Zeit viele Perspektivenwechsel, indem Menschen für ganze Gruppen (z.B. die Bevölkerung, die Politik) oder auch abstraktere Entitäten (z.B. die Wirtschaft, die Wissenschaft) sprechen. Dieses Erleben (Hören, Sehen und Spüren) anderer Blickwinkel ist eine tiefe Erfahrung von Gleichheit, weil sie bei gleichzeitiger Pluralität geschieht. In einer Politikfeldaufstellung gibt es also immer gleichzeitig mehrere Perspektiven, die gleichwertig nebeneinander stehen und erfahren werden. Das passiert im Alltag selten. Für die Demokratie ist es jedoch fundamental wichtig, dass verschiedene Perspektiven gleichberechtigt und gleichermaßen wahrgenommen werden.

(3) Wahrnehmung des Gemeinwohls

Als dritter demokratiestärkender Punkt ist zu nennen, dass durch die simulative Abbildung von größeren Systemen (Politikfeldern) den Teilnehmenden ihre eigene Sozialität bewusst gemacht wird. Abhängigkeiten und soziale Dynamiken werden sichtbar. Das erhöht für die Teilnehmenden auch das Verständnis, welche Veränderungen im System gut für das Allgemeinwohl wären. Damit wird es leichter möglich, das Gemeinwohl auch bewusst umzusetzen, was letztlich als das zentrale Ziel von Demokratie verstanden werden kann.

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