Kunst, Empathie und Demokratie

Kunst vermag, was Gesetze, Strukturen und Argumente nicht können: Sie verbindet.

Das wusste schon Friedrich Schiller, als er „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt“ schrieb: Die Schaubühne ist mehr als jede andere öffentliche Anstalt des Staats eine Schule der praktischen Weisheit, ein Wegweiser durch das bürgerliche Leben, ein unfehlbarer Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele“.

Heute wird diese Sicht auf die Funktionsweise der Kunst durch die neurobiologische Forschung unterstützt. Mit der Entdeckung der Spiegelneuronen als Grundlage der menschlichen Empathiefähigkeit kann uns heute die Forschung erklären „Warum ich fühle, was du fühlst“. So der Titel eines Buches von Prof. Dr. Joachim Bauer. Mit den Spiegelneuronen erleben wir die Handlungen eines anderen Wesens von innen, so als wären es unsere eigenen. Nach Bauer sind die grundlegenden Prinzipien für ein gelingendes Zusammenleben: Sehen und gesehen werden, gemeinsame Aufmerksamkeit gegenüber etwas Drittem, emotionale Resonanz, gemeinsames Handeln und wechselseitiges Verstehen von Motiven und Absichten. Diese Faktoren werden in allen Kunstgattungen eingeübt.

Kunst ist dann gelebte Demokratie und „Jeder Mensch ist ein Künstler” - mit diesem Satz hat Joseph Beuys das erweiterte Kunstkonzept der “Sozialen Plastik” beschrieben. Aus der tiefen Überzeugung heraus, dass jeder Mensch seinen Fähigkeiten entsprechend die Gesellschaft mitgestalten und dadurch schöpferisch tätig sein kann, hat Beuys 1971 in Düsseldorf die „Organisation für Direkte Demokratie durch Volksabstimmung“, als eine der Wurzeln von „Mehr Demokratie“, gegründet.

„Jeder Mensch ist ein Träger von Fähigkeiten, ein sich selbst bestimmendes Wesen, der Souverän schlechthin in unserer Zeit. Er ist ein Künstler, ob er nun bei der Müllabfuhr ist, Krankenpfleger, Arzt, Ingenieur oder Landwirt. Da, wo er seine Fähigkeiten entfaltet, ist er Künstler. “

Joseph Beuys. (Interview in „Der Spiegel“ 23/1984)

In spezifischer definierten Kunstbereichen, wie im Theater als einem Forum für „lebendiges Probehandeln“, geschieht diese empathische Beteiligung durch das Miterleben der Zuschauer. Wenn das Theater sich dabei für das Mitspielen öffnet, wie z.B. im „Theater der Unterdrückten“ von Augusto Boal, dann können aus den Zuschauerinnen auch „Zuschauspielerinnen“ werden, die selbst aktiv die Veränderung der Welt proben.

In der Musik kann Demokratie als Resonanzraum jenseits der Worte erfahren werden. In ihrem Buch „Die unvollendete Demokratie“ beschreibt Ute Scheub eine musikalische Demokratie:

„Wir diskutieren, unsere Stimmen gehen durcheinander, wogen hin und her im Raum, tragen immer neue Argumente vor, bejahen und verneinen, wägen ab, spitzen zu, aufgeregt oder ruhig. Nach einer Phase von Dissonanzen und schrägen Tönen kommen sie auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner gar nicht so selten auf einen neuen Grundakkord...Demokratie ist ein Klangkörper. Ein sinnlicher, geistiger und emotionaler Raum der Verständigung.“

Hartmut Rosa, der Sozialphilosoph aus Jena, schreibt die Demokratie beruhe auf der Vorstellung, dass sie »jedem Einzelnen eine Stimme gibt und sie hörbar macht, so dass die politisch gestaltete Welt zum Ausdruck ihrer produktiven Vielstimmigkeit wird«. Resonanz, sagt Rosa, bedeutet nicht Einklang oder Harmonie, sondern Antwort, Bewegung, Berührung, tönendes Widersprechen.

Beispiele für Kunstprojekte in Kooperation mit Mehr Demokratie

2021 wurde im Rahmen unserer Debatten- und Informationsplattform “Die Klimadebatte” ein politisches Musik-Experiment gestartet.

Denn die Klima-Debatte wird nicht nur auf der intellektuellen Ebene und mit rationalen Argumenten geführt, sondern sie berührt uns alle auch emotional. Wir erleben Angst, Wut, Abwehr, aber auch Hoffnung, Tatendrang, Mitgefühl… All das wird oft nicht direkt angesprochen, schwingt aber bei der Diskussion um die Klimakrise unüberhörbar mit. Wir fanden: Es lohnt sich, innezuhalten und zuzuhören. Daher haben wir mit einem Team von professionellen Musikerinnen und Musikern diese verborgenen Aspekte der Klimadebatte hörbar gemacht: Wir haben vier unterschiedliche gesellschaftliche Positionen ausgewählt, abgebildet in Statements von Personen des öffentlichen Lebens. Jede Position wird durch ein eigens komponiertes Musikstück verkörpert. Die Veranstaltung wurde von mehr als 1.000 Menschen miterlebt.

Begleitend zum Bürgerrat „Deutschlands Rolle in der Welt, hat die Künstlerin Beate Simon weltweit Menschen zu ihrer Sicht auf Deutschland befragt.

Die Sicht „der anderen“ auf uns  - ein globales Kunstprojekt von Beate Simon

Während des laufenden Bürgerrates realisierte ich das Kunstprojekt „Der Blick der Welt auf Deutschland“. Ich habe mit vielen Menschen über ihre persönlichen Erfahrungen mit Deutschland, und auch über Deutschlands Rolle in der Welt gesprochen. Zu essenziellen Statements entstand jeweils ein abstraktes Bild, in dem als Konstante immer eine hellgraue Fläche für Deutschland steht. Diese Gespräche haben mich überrascht und meine eigene Vorstellung, wie wir gesehen werden verändert. Mir kam durchweg ein hoher Respekt für Deutschland entgegen, sowohl was unsere Werte und unsere Art der Vergangenheitsbewältigung betrifft, aber auch für unsere praktischen Hilfseinsätze, die Konfliktschlichtung usw. Auf der negativen Seite hörte ich deutlich weniger: zu viel Bürokratie, an Regeln festhalten, aggressive Kontrolle und Schwierigkeiten Kontakte zu Deutschen aufzunehmen. Viele wünschten sich, dass Deutschland aktiver in Führungsrollen geht.

Ich wünsche mir, dass Deutschland eine Balance findet zwischen entschlossener Führungskraft und demütiger Menschlichkeit und so seine Rolle in der Welt einnimmt. Das entspricht genau dem letzten und entscheidenden Leitsatz des Bürgerrates, dass wir selbst uns diese Vorbildfunktion nicht geben können, sondern wir sie uns nur mit selbstkritischem und gegenseitigem Lernen und konsequentem Handeln erarbeiten können.

Beate Simon

Das STEGREIF-Orchester – Eine musikalische Demokratie

Wie funktioniert das eigentlich, ein großes Orchester, ohne Dirigent und Chef? Klingt das nach Chaos oder Ordnung oder nach etwas unbekanntem Neuen? In einem Interview sucht der Redakteur des demokratie! Magazins, Dieter Halbach,  nach Gemeinsamkeiten und Lernmöglichkeiten zwischen musikalischer und politischer Demokratie.

Auszüge aus der Selbstdarstellung: 

Wir sind ein improvisierendes Sinfonieorchester von 30 jungen internationalen Musiker*innen, die sich selbst und dem Publikum neue Wege zur klassischen Musik eröffnen. Mit unseren Rekompositionen klassischer Werke möchten wir das geschätzte musikalische Erbe durch zeitgenössische Strömungen erweitern. Wir spielen stets ohne Dirigent*in, ohne Noten, oder Stühle und nutzen die so gewonnene Freiheit für Improvisation und Bewegung. Nicht nur auf der Bühne, sondern auch dahinter, steht Stegreif für eine kollektive Arbeitsweise. Der achtsame Umgang mit uns, unserer (Um-)Welt und unserer Kunst ist wesentlicher Teil unserer Identität.

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