Ich mache Ihnen ein Angebot

Landtagswahlen im Osten, Ampel-Aus, US-Wahlen. In dieser zweiten Jahreshälfte 2024 ist viel los. Unsere Bundesvorstandssprecherin Claudine Nierth macht sich Gedanken – und teilt diese mit Ihnen. Über den Graben zwischen Politik und Bürgerschaft, wie wir ihn überwinden können. Über unseren Umgang miteinander. Darüber, ob wir als Menschen eigentlich fit für unsere Demokratie sind.

Eine Zäsur

Die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg haben unsere politische Landschaft ordentlich durchgerüttelt. Wir müssen uns fragen: Was ist hier eigentlich gerade los? Wie schaffen wir einen Umgang miteinander, trotz unserer Unterschiede? Ich möchte Ihnen in den kommenden Wochen in einer kleinen Serie schreiben: über eine neue Haltung aus der Mitte der Gesellschaft, über eine andere demokratische Kultur und unsere Gedanken dazu. Sie hören von mir.

  • Der Ausgang der drei Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg bedeutet für viele Menschen Schock und Ohnmacht. Für andere, wie die Wähler und Wählerinnen von AfD und BSW, Anlass für Freude und Hoffnung. Rechts wächst. Links schwindet. Die Mitte wird dünn. Wer sich wie wir seit vielen Jahren dafür einsetzt, dass die Menschen an den Entscheidungen, die alle betreffen, beteiligt werden, ist weniger überrascht.

    Die Wahlergebnisse sind auch eine Folge der Defizite der Demokratie. Der Abstand zwischen Politik und Bürgerschaft ist für viele Menschen zu groß geworden. Viele fühlen sich ungehört, übergangen, und bezweifeln zunehmend ihren Einfluss auf politische Entscheidungen. Viele Menschen haben die Hoffnung, dass neue Parteien das Ruder herumreißen können und alles anders machen. Mit dieser Hoffnung wurden die Grünen gegründet, die Piraten, die AfD oder zuletzt BSW.

    Immer das gleiche Spiel. Vor jeder Wahl: Hoffnungen. Nach jeder Wahl: Enttäuschungen. Jahr für Jahr. Alle klagen. Alle jammern. Aber keiner, der mal sagt: „Moment mal, da stimmt doch was nicht!“ Genau, da stimmt was nicht, das merken die Menschen auch. Und Politikerinnen und Politiker auch, die bei weitem nicht das umsetzen können, wofür sie sich haben wählen lassen. Was kommt am Ende dabei raus? Frust auf beiden Seiten! Politik und Bürgerschaft in der Vertrauenskrise.

    Machen wir die Krise zur Chance. Nutzen wir den Ausgang der drei Landtagswahlen als Warnschuss und setzen eine Zäsur zum Innehalten. Zum Hinhören. Zum Nachfragen. Ich wünsche mir überall öffentliche Räume, in Gemeinden, in Ländern und auf Bundesebene, die alle Menschen einladen oder Menschen auslosen und sich die Frage stellen: Wie gewinnst Du wieder Vertrauen in die Politik?

    Wir brauchen nicht mehr neue Parteien, wir brauchen bessere demokratische Prozesse, die die Hoffnungen und Erwartungen der Menschen sammeln, aufgreifen und in die politischen Prozesse einfließen lassen. Bürgerforen, Bürgerräte und Beteiligungsformate können das leisten. Wir brauchen nicht mehr Wählerumfragen. Wir brauchen Zusammenarbeit! Und die können wir organisieren. Die Bürgerräte zeigen uns, wie hilfreich und effektiv das geht. Aber auch die Politikerinnen und Politiker in den Parlamenten brauchen eine externe, professionelle und unabhängige Moderation, um sich nicht ständig zu streiten und zu trennen.

    Nutzen wir die Zäsur um unser ständiges Gegeneinander in ein Miteinander zu wandeln. Das ist der einzige Wandel, der niemanden bedroht! Lassen Sie uns beginnen, eine neue demokratische Kultur, eine neue Kraft aus der Mitte Gesellschaft hervorzubringen. So viele Menschen, denen wir begegnen, sehnen sich danach. Sie warten darauf. In Kürze schreibe ich mehr von hoffnungsvollen, motivierenden Ansätzen und guten Vorschlägen.

Größer kann die Kluft kaum sein

Nachdem ich Anfang Oktober nach den Landtagswahlen eine Zäsur zum Nachdenken vorgeschlagen habe, um mal grundsätzlich zu fragen, was hier im Land mit Politik und Demokratie gerade nicht stimmt, melde ich mich heute wie versprochen mit einer weiteren Idee. Ich mache der Politik ein Angebot.

  • Ein warmer Oktobermorgen, ich sitze im Zug Richtung Lüneburg. Dort werde ich von über fünfhundert jungen Studentinnen und Studenten empfangen. „Warum haben wir zwei Ohren?“, frage ich sie. „Ein Ohr, um auf unsere innere Stimme zu hören: Was kann ich? Und ein Ohr, um den Ruf der Welt zu hören: Was soll ich?“ Die folgenden zwei Stunden reden wir darüber, wie wir die werden, die wir sein wollen. Und darüber, was die Welt von uns erwartet, wie wir Einfluss nehmen auf das, was uns umgibt.

    Lange reden wir über das Für und Wider von Volksabstimmungen, über Bürgerräte und den Sinn und Unsinn von Parteien sowie gute und schlechte Arbeit in den Parlamenten. Und natürlich über Konflikte. Vor allem reden wir über das, was wir vermissen: Zusammenarbeit jenseits aller Streitigkeiten. Wir enden mit der Erkenntnis: Wir brauchen alle! Auf mich kommt es an! Die Welt wartet auf mich! Noch Tage danach bekomme ich motivierte Rückmeldungen junger Menschen.

    Es folgen zwei Abende in verschiedenen Gemeinden. In der ersten kommen hundert ausgeloste Menschen zusammen, eingeladen von der Bürgermeisterin. „Wie geht es Ihnen in Ihrer eigenen Gemeinde“, will sie wissen. Der Gemeindesaal ist voll, alle Wählerschichten sind vertreten. Mein Kollege von Mehr Demokratie und ich moderieren den Abend mit unserem Dialogformat Sprechen & Zuhören. Es stellt sich heraus, dass die Menschen allesamt überraschend zufrieden mit ihrer Politik und Verwaltung sind. Und es gibt konstruktive Verbesserungswünsche. Die meisten wollen solche Abende am liebsten regelmäßig. Die Bürgermeisterin ist dafür offen.

    In der zweiten Gemeinde sind wir bereits das sechste Mal. Auch hier sind alle Wählerschichten vertreten.Es geht um den Ausgang der vergangenen Landtagswahlen und um die ost- und westdeutsche Un-Einheit. Sehr persönliche Erfahrungen werden mitgeteilt und angehört. „Ich habe mit der Wende vor 35 Jahren meine Heimat verloren“, ist ein Satz, der mich bewegt. Und ich höre von verschiedenen älteren Damen: „Wir müssen so schlimm wählen, damit man uns hört! Ich hoffe, dass man uns jetzt endlich sieht! Ich hoffe, dass man sich jetzt endlich mit uns beschäftigt!“

    In derselben Woche sitze ich noch bei zwei Veranstaltungen etwas anderer Art – mit vielen Politikerinnen und Politikern im Raum und auf den Podien. Bei der einen erfahre ich, dass der Bundestag nun doch keinen Bürgerrat zur Aufarbeitung der Coronapandemie einsetzt. Bei der anderen höre ich Politikerinnen und Politiker jammern: über den undemokratischen Zustand im Land und die „verheerenden“ Wahlergebnisse in den drei Ostbundesländern. Das müsse aufhören, die eigene Politik besser werden. Eine Lösung sei, zur Mitgliedschaft in der eigenen Partei aufzurufen. Erstaunlich ist dabei: Das sagt eine der drei Regierungsparteien, die gerade alle Chancen hat, es besser zu machen. Am nächsten Tag verkündet sie über die Medien das Aus für den Bürgerrat.

    Ich bin sprachlos. So groß ist der Graben zwischen Politik und Bürgerschaft. In mir klingen noch die Stimmen aus den Dialogen mit den Bürgerinnen und Bürgern und den motivierten Studis nach, dazu die verzweifelten Reden regierender Politikerinnen und Politiker. Und schuld soll die Demokratie sein? Nein. Nicht mit mir.

    Die Menschen, die mir in den vergangenen Wochen begegnet sind, sind nicht unzufrieden mit der Demokratie – sie sind unzufrieden mit der Politik! Mit dem ewigen Gezänk in der Regierung. Sie warten auf drängende Entscheidungen in allen Politikbereichen und müssen zusehen, wenn am Ende gar nichts entschieden wird. Nur weil man sich nicht einigen konnte. Nicht mal auf einen ausgelosten Bürgerrat.

    Wir brauchen eine Zäsur, um in Ruhe darüber nachzudenken, was hier im Land gerade schiefläuft. Und wir müssen uns der Politik zuwenden. Sicher, die Demokratie hat Modernisierungsbedarf. Aber die Zusammenarbeit unter Politikschaffenden und Parteien muss besser organisiert sein! Darum muss sich jemand kümmern. Ich schlage dafür externe Hilfe vor. Und ich biete auch unsere Hilfe an.

    Was wäre, wenn wir der Politik für ihre Zusammenarbeit externe Moderationsteams mit guten Formaten bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode an die Seite stellen? Wir schlagen vor: Holt euch Hilfe und lasst eure Prozesse nach modernster Methodenkenntnis moderieren – professionell und effektiv. Wir beraten gerne. Wir wollen wirklich helfen. Wir garantieren Zusammenarbeit und konsensfähige Entscheidungen. Am Ende vielleicht sogar zufriedene Bürgerinnen und Bürger.


    Das meine ich ernst!

Sind Sie fit für die Demokratie?

Wie viel Zeit bringen sie auf, um sich fit zu halten? Dreimal die Woche Fitnessstudio? Täglich zehn Minuten Sudoku? Alle zwei Tage Laufen? Wussten Sie, dass es eine neue Disziplin gibt? Schon eine Weile, allerdings bisher nur in Dänemark. Wir haben sie jetzt entdeckt und wollen sie auch hier bei uns etablieren: Demokratiefitness.

  • Ein paar clevere Däninnen haben zehn Demokratiemuskeln definiert, die jede und jeder je dreißig Minuten trainieren kann: in der Familie, bei der Arbeit mit Kolleginnen und Kollegen oder auf Partys mit Freundinnen und Freunden. Da gibt es zum Beispiel den Muskel für vertieftes Zuhören oder Empathie, den Muskel des Haltens der eigenen Meinung, den für Debatten- oder Kompromissfähigkeit. Für jeden Muskel gibt es eine interaktive Trainingsanleitung in der Gruppe.

    Habe ich Ihnen vor ein paar Wochen erst eine Zäsur zum Nachdenken und kürzlich eine externe Moderation für die Bundesregierung vorgeschlagen, möchte ich Ihnen heute vorschlagen: Machen wir uns für die Demokratie fit!

    Warum? Immer wieder ertappe auch ich mich dabei, wie ich in das große Klagen einsteige, dass alles so schön und einfach wäre, wenn doch nur die Anderen nicht wären. Die Anderen, die sich uns in den Weg stellen, uns nicht hören, uns übergehen oder meinen, alles besser und vor allem alleine machen zu können. Aber was nützt uns ein Träumen von einem besseren Morgen, wenn wir selbst nicht diejenigen werden, die in diesem Morgen leben? Deshalb mein Vorschlag heute: Beginnen wir, selbst demokratischer zu werden. Jeden Tag ein bisschen. Ich übe mich seit über 30 Jahren darin – und habe immer noch viel zu lernen.

    Wie kann ich andere Meinungen außer meiner eigenen zulassen? Wie sehr kann ich wirklich auf meine Gegnerinnen und Gegner zugehen? Wie sehr bin ich eigentlich in der Lage, die andere Perspektive in der anderen Meinung zu erkennen? Wie kann ich damit umgehen, überstimmt zu werden? Wie erlebe ich mich in der Minderheit?

    Wir leben in einer Demokratie. Aber diese Demokratie ist nur so demokratisch, wie wir auch demokratisch sind. Wer fordert, gehört zu werden, muss selbst zuhören können. Wer Toleranz erwartet, muss selbst tolerant sein. Wer Minderheiten schützen will, muss sich selbst als Minderheit erleben. Wer Lösungen vorschlägt, muss auch andere nach Lösungen fragen.

    Demokratiefitness macht Spaß, und ist so lehr- wie hilfreich. Wir bei Mehr Demokratie trainieren uns und bieten Trainings an. Und: Auf Demokratiefitness haben nicht nur die Erwachsenen Lust. Sie ist auch für Kinder und Jugendliche geeignet. Das Beste aber ist, dass die Trainings jedem Vortrag über Demokratie Konkurrenz machen und auf einfache Weise demokratische Erlebnisse erzeugen: Die Demokratie steckt mit einem Mal in uns – wir verkörpern sie!

    Ich werde jeden Tag ein bisschen mehr Demokratin, indem ich selbst jene werde, die ich mir in anderen wünsche. Und wie fit sind Sie?

Den Mantel teilen

Der Wind wurde kälter und es war bereits dunkel, als Martin auf seinem Pferd das Stadttor erreichte. In einem Winkel bemerkte er einen armen Mann, der Schutz vor Wind und Kälte suchte. Er war nur mit wenigen Lumpen bekleidet und fror. Martin stieg ab, nahm sein Schwert und schnitt seinen Mantel in zwei Teile und reichte dem Armen eine Hälfte, die andere hing er sich selbst um und ritt in die Stadt

  • Das ist die Geschichte, wie wir sie aus Kindertagen kennen. Meist besungen mit Laterne in der Hand und frisch Gebackenem in der Tasche zum Teilen. Jedes Jahr, am 11. November – also heute.

    Und was teilen wir heute? Von einer Freundin weiß ich, dass sie immer am Jahresende ein Zehntel ihres Jahreseinkommens verschenkt. Einfach so. Meistens an eine Organisation, die in ihren Augen Sinnvolles tut.

    „Das ist eine gute Idee, das werde ich in diesem Jahr auch machen“, dachte ich, als ich das hörte. Seitdem zähle ich und wäge ab, was am Ende bleibt und wer es bekommt. Und: Es fühlt sich gut an. Richtig gut!

    Heute schlage ich Ihnen vor: Tun Sie Gutes!

    Stellen Sie sich eine ausgemergelte Demokratie vor, frierend, schutzsuchend in einer Ecke am Rande der Gesellschaft. Und diesmal tun Sie Gutes. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung.

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