Erfahrungsbericht aus Karlsruhe

Roman Huber beim BVerfG

In einem persönlichen Erfahrungsbericht schildert unser Geschäftsführender Vorstand Roman Huber seine Eindrücke von der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über die Eilanträge zu unserer Klage gegen ESM und Fiskalvertrag.

Die mündliche Verhandlung in Karlsruhe war für mich einer der interessantesten und spannendsten Tage in diesem Jahr. Verhandelt wurden ca. 14 verschiedene Punkte, zu denen jeweils die fünf unterschiedlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger und dann diejenigen von Bundestag und Bundesregierung gesprochen haben. Dabei richteten die Verfassungsrichter auch direkte Nachfragen an die Vortragenden. Hinzu kamen weitere Stellungnahmen von Sachverständigen z.B. von Jens Weidmann, dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank oder dem Ökonomen Hans-Werner Sinn sowie von etlichen Bundestagsabgeordneten. Insgesamt waren es sicher über 100 Redebeiträge vor dem Gericht. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble war die gesamte Zeit anwesend.

Es ist Usus, dass jeder, bevor er spricht, nach vorne an einen Pult kommt und so alleine vor den Richtern steht, die in den bekannten roten Roben auf einem erhöhten Podest sitzen. Da werden alle gleich vor dem Gericht. Und es hat eine ungemein disziplinierende Wirkung.

Das gab es noch nie: Verhandlung über Eilanträge

Insgesamt war es eine sehr würdige, hoch konzentrierte Veranstaltung. Jeder Beschwerdeführer und Bevollmächtigte konnte zu jedem Punkt auch mehrfach zu Wort kommen und es gab keinerlei Redebegrenzungen. Das Gericht widmete jedem seine volle Aufmerksamkeit - daher dauerte die Verhandlung auch bis fast 20:30 Uhr. Ein Novum in der Geschichte des Gerichts. Denn es gab noch nie eine mündliche Verhandlung über eine einstweilige Anordnung. Das zeigt, wie ernst das Gericht die ganze Angelegenheit nimmt. Die Verhandlung wurde entlang der vorab bekannt gemachten Gliederung geführt: <link http: www.bundesverfassungsgericht.de pressemitteilungen bvg12-050>

www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg12-050

MdB Danckert: Über Milliardenbeträge wurde keine Minute beraten

Bis zum Mittagessen kamen wir bis zu Punkt C II. der Gliederung, dem Artikel 136 Abs. 3 des AEUV-Vertrages, der die Grundlage für den ESM bildet. Ohne diese „Öffnungsklausel“ wäre der Euro-Rettungsschirm (ESM) ziemlich sicher verfassungswidrig. Vor der Mittagspause ergriff MdB Dankert, SPD, Mitglied des Haushaltsausschusses und einer unserer Beschwerdeführer, das Wort und griff thematisch schon etwas vor. Er schilderte sehr unverblümt die Praxis im Deutschen Bundestag, unter anderem wie gerade in der vergangenen Nacht Bundesfinanzminister Schäuble zusammen mit den anderen Finanzministern 30 Mrd. für Spanien beschlossen hatte. Konkret fragte er das Gericht: „Sie glauben doch wohl nicht, dass wir darüber auch nur eine Minute im Bundestag beraten haben. Was sollen wir denn in vier bis fünf Wochen, wenn das in den Bundestag kommt, machen als nur zustimmen.“ MdB Kolbe, CDU, ebenfalls auf unserer Seite, legte nach: „Ich kann doch nicht jedes Mal meine eigene Regierung in Frage stellen, wenn ich über Finanzhilfen entscheide. Das System funktioniert so nicht.“

Im Zentrum: Die Frage nach den Folgen der Gerichtsentscheidung

Am Nachmittag bis in den Abend hinein wurden vor allem der ESM inklusive alle Folgeabwägungen besprochen und am Abend nur mehr relativ kurz der Fiskalvertrag. Da es ausschließlich um die Eilanträge ging, standen bei all den verschiedenen Punkten die folgenden Fragen im Mittelpunkt:

a) Welche Nachteile wären zu erwarten, wenn das Gericht jetzt die Ratifikation von ESM und Fiskalvertrag stoppt und dem Bundespräsidenten die Unterschrift untersagt, sie aber später für verfassungsmäßig erklärt?

b) Welche Nachteile für die Beschwerdeführer wären zu erwarten, wenn jetzt das Gericht die Verträge passieren und ESM und Fiskalvertrag völkerrechtlich verbindlich werden lässt, sie dann aber später für verfassungswidrig erklärt?

Unsere Hauptargumentation war, dass die Ausgestaltung der Verträge nicht nur Nachteile für die schon mehr als 23.000 Beschwerdeführer mit sich bringt, sondern für alle Menschen, die in Deutschland leben und wahlberechtigt sind. Denn unser Wahlrecht würde dann stark eingeschränkt werden. Zudem ist eine Beeinträchtigung des Demokratieprinzips generell nicht hinnehmbar oder abwägungsfähig, wie dies das Bundesverfassungsgericht selbst immer wieder festgestellt hat.

Von Seiten der Bundesregierung und von Teilen des Bundestags wurde ein Szenario gezeichnet, das bis zum Zusammenbruch des Währungsraumes reichte, falls der ESM jetzt nicht in Kraft tritt. Das hat das Gericht nach meiner Wahrnehmung nicht allzu tief beeindruckt. Andererseits will Präsident Voßkuhle aber auch keine Schlagzeilen produzieren wie „Gericht stoppt Euro-Rettung“ - mit all seinen möglichen, teilweise irrationalen Folgewirkungen auf den Märkten.

Am spannendsten fand ich in diesem Zusammenhang den schlichten Satz des Bundesbankpräsidenten Weidmann, dass ein verspätetes Inkrafttreten des ESM an den Kapitalmärkten wohl schon eingepreist sei. Das würde bedeuten, dass wenige ökonomische Folgewirkungen zu befürchten sind. Von der Gegenseite hat mir persönlich – „leider“ – das Plädoyer von Prof. Nettesheim gut gefallen, der die komplett überarbeiteten Beteiligungsrechte des Bundestags sehr präzise dargestellt hat. Dies darf durchaus schon als ein wichtiger Vorerfolg unserer Beschwerde angesehen werden. Der Bundestag hat sich die bislang wohl am weitesten gehenden Rechte in Bezug auf einen völkerrechtlichen Vertrag gesichert. Die Abgeordneten wussten doch zu genau, dass wir mit unserer Verfassungsbeschwerde exakt diesen Punkt angreifen würden.

Ungeklärt: Wie hoch ist das Haftungsrisiko?

In punkto Haftungsrisiko und Obergrenze war die zentrale Frage: Gilt Artikel 8 (5) des ESM-Vertrags, was eine strikte Obergrenze von 190 Mrd. € bedeuten würde oder kann diese Grenze auch überschritten werden? Hierzu gibt es drei Möglichkeiten: Erstens, wenn andere Länder die Eurozone verlassen – etwa Finnland oder Italien. Zweitens, wenn andere Länder ihre Einzahlung nicht vornehmen, weil sie nicht mehr zahlen können. Hier greift die Nachschusspflicht in Art. 25 (2). Drittens heißt es in einer versteckten Bestimmung des ESM-Vertrags, der ESM könne ein unbegrenztes Agio – einen Aufschlag – verlangen, wenn er Anleihen ausgibt.

Die Frage „Gilt 8(5) oder 25(2)?“ würde allerdings im Streitfall vom EUGH ausgelegt werden und damit deutscher Verfassungsgerichtsbarkeit entzogen. Der EUGH entscheidet traditionell sehr europafreundlich und ist vor allem nicht ans Grundgesetz gebunden.

Medienberichte

In der Süddeutschen vom 10. Juli wurden auf Seite zwei weitere Punkte der mündlichen Verhandlung gut zusammengefasst: <link http: www.sueddeutsche.de politik bundesverfassungsgericht-verhandelt-ueber-esm-und-fiskalpakt-verfassungsrichter-denken-das-undenkbare-1.1408095>

www.sueddeutsche.de/politik/bundesverfassungsgericht-verhandelt-ueber-esm-und-fiskalpakt-verfassungsrichter-denken-das-undenkbare-1.1408095

Und um einen Eindruck vom Ablauf zu bekommen, ist der folgende Link interessant. Dort wurde die Verhandlung wie bei einem Fußballspiel protokolliert (wobei ich einige andere Schwerpunkte gesetzt hätte und einige Details sogar falsch wiedergegeben wurden): <link http: www.ftd.de politik deutschland :chronik-des-verhandlungstages-esm-verhandlung-endet-ohne-eilentscheid>

www.ftd.de/politik/deutschland/:chronik-des-verhandlungstages-esm-verhandlung-endet-ohne-eilentscheid/70061254.html

Fazit

Abschließend möchte ich mich bei unseren Prozessvertretern Frau Däubler-Gmelin und Herrn Degenhart bedanken, zudem auch bei Prof. Bernhard Kempen und Prof. Stefan Homburg, die uns unterstützt haben. Besonders erwähnen möchte ich noch Herrn Prof. Murswiek, der Prozessbevollmächtigte von Herrn Gauweiler, der meist als erster von uns, also von Klägerseite, gesprochen hatte und in seiner ruhigen und professionellen Art den jeweils grundlegenden Argumentationsteppich webte. Die weiteren Professoren ergänzten dann noch spezielle Aspekte.

Die Position der Gegenseite war, dass Karlsruhe sowohl ESM und Fiskalvertrag passieren lassen müsste, so dass die Verträge sofort verabschiedet werden können. Schäuble bat das Gericht am Ende der Verhandlung noch einmal explizit, in wenigen (d.h. 2-3) Wochen zu entscheiden und unsere Eilanträge abzulehnen. Das wird das Gericht mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht machen. Insofern war der gestrige Tage für uns bereits ein Erfolg.

Eingangs-Statement vor dem Verfassungsgericht

Sehr geehrter Herr Präsident, hoher Senat,

als wir vor zehn Tagen unsere Verfassungsbeschwerde bei Ihnen abgeben haben, waren es 12.000 Beschwerdeführer. Heute sind es bereits über 23.000. Und täglich werden es mehr. Uns eint der dringende Wunsch, dass wir die Zukunft der Europäischen Union mitbestimmen. Es geht uns nicht um bestimmte wirtschaftspolitische Ausrichtungen, sondern wir stellen die Demokratiefrage ins Zentrum unserer Argumentation. Hierbei verfolgen wir drei Ziele:

 

  1. Wir wollen die parlamentarische Demokratie stärken. Wir wollen, dass Parlamente wieder agieren und nicht mehr nur reagieren müssen, sie wieder Gestalter des politischen Lebens sind und nicht nur als alternativlos vorgesetzte Politik nachvollziehen. Das betrifft sowohl den deutschen Bundestag wie das Europäische Parlament.

  2. Das Haus Europas kann nur mit den Bürgern gebaut werden. Deshalb müssen die Bürger ab sofort über jeden weiteren wesentlichen Integrationsschritt abstimmen können, so wie jetzt über ESM und Fiskalvertrag. Im Übrigen wollen – laut einer ARD-Umfrage von letzter Woche – Dreiviertel aller Bürgerinnen und Bürger über die beiden Verträge in einem Volksentscheid abstimmen.

  3. Wir brauchen Zeit zum Nachdenken. Nachdenken über eine grundlegende neue Ordnung, wie die Zukunft Europas gestaltet werden kann. Deswegen brauchen wir einen Europäischen Konvent, der ja bereits im EU-Vertrag verankert ist. Wir fordern damit nur die Einhaltung bereits bestehenden Rechts. In einem solchen Konvent könnte ein neues Modell eines demokratischen und föderalen Europas erarbeitet werden - mit vielleicht unterschiedlichen Integrationsstufen und über dessen Ergebnis die Völker Europas in nationalen Volksabstimmungen am besten am gleichen Tag abstimmen.

Hoher Senat, wenn wir aufhören die Demokratie zu entwickeln, fängt die Demokratie an aufzuhören. (Anschließend stellte Prof. Degenhart im zweiten Teil der Einführung unsere Kritikpunkte dar.)

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