Russische Verfassungsreform höhlt Demokratie weiter aus

Nur zwei Monate sind vergangen, seitdem der russische Präsident Wladimir Putin eine Verfassungsreform bekannt gegeben hat. In diesen Tagen hat das Verfassungsgericht die vom Parlament verabschiedeten Änderungen gebilligt, am 22. April kommt es zur Volksabstimmung. Der Weg dorthin war so rasant wie intransparent.

Noch in seiner Rede an die Nation am 15. Januar kündigte Putin Reformen an, die vor allem die Kompetenzen des Präsidenten zu Gunsten des russischen Parlaments - der Staatsduma - einschränken würden. Außerdem sollte der Staatsrat, ein von Putin selbst ins Leben gerufenes Beratergremium, in der Verfassung verankert werden, zur Freude der Regionen, deren Gouverneurinnen  und Gouverneure unter anderem dort vertreten sind. Beobachterinnen und Beobachter vermuteten zu dem Zeitpunkt noch, Putin bereite die Phase nach seiner Präsidentschaft vor und sahen eine Schwächung des nächsten Präsidenten als Zeichen, dass Putin nach 2024 das Präsidentenamt nicht mehr anstrebe.

Präsidentschaft bis 2036 möglich

Seit dem 10. März ist jedoch klar, dass Putin noch lange nicht plant, sein Amt abzugeben. In der überarbeiteten Fassung von rund 200 Änderungsvorschlägen, die der Duma zur Abstimmung vorliegt, sind die Kompetenzen des Präsidenten erheblich erweitert worden. Der Präsident wird damit die Richter und Richterinnen am Verfassungsgericht und am Obersten Gericht bestellen und entlassen können und erhält weitere Möglichkeiten, das Parlament zu überstimmen. Außerdem wird die Immunität des Präsidenten verfassungsrechtlich festgeschrieben.

Außerdem würde Putins Amtszeitkonto mit Beginn der neuen Verfassungsreform auf null gesetzt werden. Damit könnte er für zwei weitere Amtszeiten zu je 6 Jahren als Präsident kandidieren. Putin wäre es dann also möglich, bis 2036 im Amt zu bleiben. Er wäre dann 84 Jahre alt und hätte das Amt des Präsidenten 30 Jahre innegehabt, länger als irgendein Staatslenker in der russischen Geschichte. Stalin kam gerade mal auf 26 Jahre, der letzte Zar auf 23 Jahre und Elisabeth war 21 Jahre lang Kaiserin Russlands. Danach soll ihm als scheidender Präsident ein lebenslanger Sitz im Föderationsrat, dem russischen Oberhaus, zustehen, durch den er Immunität erhält.

Parlament und Verfassungsgericht stimmen den Änderungen im Eiltempo zu

Die Parlamentarier und Parlamentarierinnen der Staatsduma und des Föderationsrates haben den Änderungsvorschlägen am 11. März mehrheitlich zugestimmt. Am 14. März unterschrieb Putin das Gesetz. Daraufhin verkündete das Verfassungsgericht am Montag, dass die geplanten Änderungen verfassungskonform sind. Damit ist die letzte Hürde vor der Volksabstimmung genommen. Die zeitige Zustimmung der Verfassungsrichter und Verfassungsrichterinnen nach nur zwei Tagen Beratung war erwartet worden, da diese bisher ausschließlich im Sinne des Präsidenten entschieden hatten. Auch die vom Parlament verabschiedete Rücksetzung von Putins Amtszeit auf null wurde genehmigt. Als Begründung gilt, dass die geplanten Verfassungsänderungen einen neuen rechtlichen Standard bedeuten, mit dem Putins Amtszeit als Präsident nach der Verfassungsänderung von neuem beginnt.

Aus Protest gegen das Urteil veröffentlichten daraufhin 350 prominente Rechtsexpert/innen, Schriftstellerinnen und Journalisten einen Brief, in dem sie den Versuch, Putins Amtszeit zurückzusetzen, als "verfassungsfeindlichen Staatsstreich" verurteilten. Darin erklärten die Autoren, die Änderungen verstießen eindeutig gegen die Verfassung und die Entscheidung von 1998, in der die Möglichkeit einer Manipulation der Präsidentschaftsbedingungen ausdrücklich abgelehnt wurde.

Der letzte Akt: Volksabstimmung am 22. April

Am 17.03.20 wird der Kreml ein Dekret zur geplanten Volksabstimmung am 22. April veröffentlichen. Laut Verfassung müssen 50 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung teilnehmen und auch 50 Prozent der Wählenden den Änderungen zustimmen. Wegen des Corona Virus wurden zudem ab 16. März jegliche Demonstrationen bis zum 10. April verboten.

Der ehemalige Russland-Koordinator der Bundesregierung, Gernot Erler, sieht auch in dem Volksentscheid kein Hindernis für Putin. Umfragen des Lewada-Zentrums zeigen, dass das Interesse der russischen Bevölkerung an der Volksabstimmung sehr gering ausfällt. Damit mehr Menschen an der Volksabstimmung teilnehmen, wurden einige emotionale Themen in die Liste der zur Abstimmung stehenden Änderung eingereiht. Darunter befinden sich eine Angleichung der Rentenbeträge an die Inflation, sowie das Verbot der Verschenkung russischen Territoriums, welches sich wohl vor allem auf die Krim bezieht. Dazu kommen konservative Themen wie die Ehe als eine Institution zwischen Mann und Frau und die Verankerung von Gott in der Verfassung.

Wie die Abstimmung am 22. April genau ablaufen soll, ist noch gänzlich unklar; sicher ist nur, dass die Bevölkerung über die Änderungen als Ganzes abstimmen soll. Beobachter und Beobachterinnen nennen einige der konservativen Themen, darunter die Definition der Russen und Russinnen als staatsbildendes Volk, einen gefährlichen Schritt in einem multikulturellen Land mit dutzenden Ethnien, Sprachen und Millionen religiöser Menschen, die nicht der christlich-orthodoxen Kirche angehören.

Schritt zu mehr Autoritarismus

Letztendlich begründet Putin seinen Schritt hin zu mehr Autoritarismus als eine Garantie für die politische Sicherheit Russlands in den kommenden Jahrzehnten. Das zeigt auch der wertkonservative Kurs, der durch die Änderungen eingeschlagen wird. Ein Kurs, der, so der Politologe Michael Winogradow, „für etwas steht, das nicht wenige im Land höher schätzen als bürgerliche Freiheiten: Es geht um Stabilität." Der Stimmungswechsel von einer anfangs angekündigten Reform mit mehr Parlamentarismus hin zu einer Festigung der Präsidialgewalt und einer möglichen Amtszeit Putins bis 2036 scheint dabei eine beachtliche Inszenierung des Präsidenten.

 

Die wichtigsten Änderungen in Kürze:

  • Erweiterte Befugnisse des Präsidenten:
    • Entlassung des Premierminister und der Minister/innen aufgrund von "Vertrauensverlust".
    • Er kann von Föderationsrat die Entlassung von Richtern des Obersten Gerichtshofs und des Verfassungsgerichts wegen Fehlverhaltens verlangen.
    • Auf Wunsch des Präsidenten prüft das Verfassungsgericht, ob Gesetze mit der Verfassung übereinstimmen.
  • Der Staatsrat wird zum Verfassungsorgan
  • Privilegierte Stellung russischen Rechts gegenüber internationalen Regeln
  • Verbot der Abgabe russischen Territoriums
  • Russ/innen als staatsbildendes Volk in der Föderation
  • Kopplung der Renten an die Inflationsrate
  • Zementierung der Ehe als Institution zwischen Mann und Frau
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