Bürgerrat zu Ernährung hat begonnen

Am 29. September 2023 hat der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ in Berlin seine Arbeit aufgenommen. Die Losversammlung ist der erste vom Bundestag beauftragte Bürgerrat.

Eröffnet wurde die erste Sitzung der gelosten Bürgerversammlung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Am ersten Wochenende haben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über ihren Bezug und ihre Anliegen zum Thema Ernährung ausgetauscht. Danach erhielten sie von verschiedenen Expertinnen und Experten Informationen zum Themenfeld Ernährung. Anhand dessen haben sie drei Themenfelder bestimmt, mit denen sie sich befassen wollen:

  • Labels und Kennzeichungen für Lebensmittel
  • Tierhaltung und Tierwohl
  • Bezahlbarkeit von Lebensmitteln

Auf die erste Sitzung folgen zwei weitere Wochenenden in Berlin sowie insgesamt sechs Online-Sitzungen zur vertieften Diskussion und Zusammenstellung der Empfehlungen in einem Bürgergutachten. Dieses soll bis Ende Februar 2024 den Mitgliedern des Deutschen Bundestages übergeben werden.

Das Thema des Bürgerrates haben die Abgeordneten festgelegt. Der Ältestenrat des Bundestages hatte dazu eine Berichterstattergruppe Bürgerrat berufen, in der alle Fraktionen des Deutschen Bundestages vertreten sind. Die Berichterstattergruppe hatte unterschiedliche Themenvorschläge diskutiert und sich schließlich auf das Thema „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“ verständigt. SPD, Grüne, FDP und Linke hatten diesen Themenvorschlag als Antrag in den Bundestag eingebracht. Die Mehrheit der Abgeordneten hatte dem Antrag am 10. Mai 2023 zugestimmt

Teilnehmer aus Bevölkerung ausgelost

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bürgerrates wurden bundesweit aus allen Einwohnerinnen und Einwohnern ab 16 Jahren ausgelost. Der Bürgerrat soll die Vielfalt der Gesellschaft möglichst gut abbilden und auch die Stimmen sichtbar machen, die sonst in der politischen Diskussion weniger präsent sind. Dafür wurden die 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einem mehrstufigen Verfahren per Zufallsauswahl ermittelt.

In einem ersten Schritt wurden 19.327 Personen zufällig über die Melderegister von 82 ausgelosten Gemeinden in ganz Deutschland ermittelt und angeschrieben. 2.220 davon bekundeten ihr Interesse an einer Teilnahme. Aus diesen Rückmeldungen wurden durch einen Computer-Algorithmus 1.000 mögliche Bürgerräte mit je 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zusammengestellt, von denen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am 21. Juli 2023 einen ausgelost hat.

Abbild der Bevölkerung

Bei der Zusammensetzung der 1.000 potentiellen Bürgerräte wurde darauf geachtet, dass der Algorithmus die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bezüglich Alter, Geschlecht, Herkunft (Bundesland und Gemeindegröße) und Bildungshintergrund so ermittelt, dass in jedem der 1.000 Bürgerräte genau die Anteile an der Bevölkerung in Deutschland widergespiegelt werden. Zudem wurde sichergestellt, dass der Bürgerrat Ernährung genau den Anteil der sich vegetarisch oder vegan ernährenden Personen an der Bevölkerung abbildet.

Die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger erhalten 50 Euro für jede digitale Sitzung sowie 200 Euro für die Teilnahme an den Präsenzsitzungen in Berlin (jeweils von Freitagnachmittag bis Sonntagmittag), insgesamt also bis zu 900 Euro. Zudem werden ihnen kostenlos Hotelzimmer und Verpflegung gestellt und die Reisekosten erstattet.

Eine große Ehre für mich“

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigen sich sehr erfreut über ihre Auslosung. Das war natürlich eine große Ehre für mich. Ich hätte das nicht erwartet, weil es ja wirklich sehr, sehr unwahrscheinlich ist, dass man da drankommt. Und als ich dann trotzdem ausgelost wurde, war das eine sehr schöne Überraschung“, sagt so etwa die 16-jährige Schülerin Hengwin Chammo aus Bad Salzuflen.

„So oft hat man im Leben ja doch nicht soviel Glück. Wenn das jetzt immer so ist, spiele ich auch Lotto“, scherzte Hudson Luis (32) aus Köln. Arne Dehne (50) aus Geestland findet es wichtig, dass beim Bürgerrat der Zufall regiert: „Genauso wie es mich durch Zufall getroffen hat, der seit 14 Jahren im Vertrieb von Lebensmitteln beschäftigt ist, wird es vielleicht auch eine Bäckerin geben, einen Landwirt oder eine Hausfrau, die mit genauso einer Leidenschaft beim Thema Ernährung für ihre Familie dabei ist. Wenn es immer nur um Expertisen geht, werden wir nicht weiterkommen.“

Das fühlt sich so gut an“

Die Bremer IT-Administratorin Nicola Wilkeit findet es „eine gute Sache, das nicht immer nur überlegt wird, was könnte denn gut sein für die Bürger, sondern die Bürger werden gefragt, was wollt ihr denn?“

Das erste Bürgerrat-Wochenende hat Eindruck hinterlassen. „Wir waren total verschiedene Menschen. Jeder findet Gehör, das finde ich sehr wichtig“, erklärte die Rentnerin Ute Hilbert aus Burscheid in einem WDR-Interview. „Dieses Hintergrundwissen, dieser Background, das war sehr interessant und das hat mich schon weiter gebracht“, meint Magdalena Putze-Heinrich aus Rehlingen-Siersburg. Susanne Keßler (55) aus Hannover schwärmt davon, wie gut es sich anfühlt, im Bürgerrat so viele Informationen zu bekommen, gehört zu werden und sich an einem solchen Prozess beteiligen zu können.

Fragen an die Teilnehmer

Im Einsetzungsbeschluss zum Bürgerrat hatten die Abgeordneten den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einige Fragen mit auf den Weg gegeben, wie zum Beispiel: „Was erwarten die Bürgerinnen und Bürger in der Ernährungspolitik vom Staat?“, „Was gehört zu einer transparenten Kennzeichnung von sozialen Bedingungen, von Umwelt- und Klimaverträglichkeit und von Tierwohlstandards?“, „Wie können die Bürgerinnen und Bürger bei Kaufentscheidungen im Hinblick auf eine gesunde Ernährung besser unterstützt werden?“ oder „Welchen steuerlichen Rahmen soll der Staat für die Preisbildung von Lebensmitteln setzen?“

Mit welchen Schwerpunkten sich der Bürgerrat in diesem Spannungsfeld von individueller Freiheit und Verantwortung für die Gesellschaft konkret beschäftigt, entscheiden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst. Im Vordergrund sollen dabei Maßnahmen stehen, die der Deutsche Bundestag beeinflussen kann, da er der Empfänger der Empfehlungen sein wird.

Information durch Experten

Expertinnen und Experten sorgen dafür, dass alle Mitglieder des Bürgerrats ungefähr den gleichen Wissensstand zum Thema des Bürgerrats haben. Dafür halten sie kurze Vorträge und Präsentationen für die Ausgelosten. Sie stehen auch für Rückfragen zur Verfügung. Das Gespräch mit den Expertinnen und Experten findet in der großen Runde statt. Die eigentlichen Debatten führen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer jedoch in kleinen Gruppen, zu denen die Expertinnen und Experten keinen Zutritt haben. So wird sichergestellt, dass die Diskussion fair und ergebnisoffen verläuft.

Bei der Frage, welche Expertinnen und Experten Vorträge halten sollen, unterstützt der Wissenschaftliche Beirat. Er besteht aus elf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von Hochschulen oder staatlich anerkannten Einrichtungen, die von den Fraktionen im Deutschen Bundestag benannt wurden. Der Wissenschaftliche Beirat unterstützt die Bürgerinnen und Bürger außerdem, indem er ihre Maßnahmenvorschläge prüft und eine Einschätzung abgibt, welche Wirkungen damit verbunden wären. So können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei ihrer letzten Sitzung eine informierte Entscheidung darüber treffen, was sie den Abgeordneten empfehlen wollen.

Interessenvertreter können eingeladen werden

Interessenvertreter können nach Einbeziehung der Expertise des wissenschaftlichen Beirats als Inputgeber eingeladen werden. Dabei wird den Teilnehmerinnen und Teilnehmern transparent gemacht, von welcher Institution sie kommen. Die Interessenvertreter aus dem Bereich Ernährung wurden zudem in einer Anhörung darüber informiert, wie der Bürgerrat ablaufen soll und konnten dazu Rückmeldungen einbringen.

Der Bürgerrat Ernährung kommt vom 12. bis 14. Januar 2024 zur letzten Präsenzsitzung in Berlin zusammen, um seine Empfehlungen zu formulieren. Anschließend werden die Ergebnisse gemeinsam mit einer Beschreibung des Ablaufs und Fotos von den Sitzungen zu einem Bürgergutachten zusammengestellt.

Behandlung im Parlament

Der Bürgerrat übergibt das Bürgergutachten voraussichtlich im Februar 2024 an die Bundestagspräsidentin. Danach wird es als Bundestagsdrucksache veröffentlicht und in die parlamentarischen Beratungen gegeben. Dazu soll es zunächst in erster Beratung eine Aussprache im Plenum des Deutschen Bundestages geben. Anschließend soll der Bericht an die thematisch zuständigen Ausschüsse überwiesen werden. Nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen entscheidet der Bundestag, wie er mit den Ergebnissen weiter umgeht.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bürgerrats und die Öffentlichkeit werden über den Gang der parlamentarischen Beratungen informiert. Sie erfahren dadurch auch, ob Ergebnisse abgelehnt, teilweise oder ganz übernommen werden.

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