EU-Parlament stimmt über Wahlrecht ab: Mehr Demokratie gegen Sperrklausel bei Europawahl


Heute stimmt das EU-Parlament über einen Entschließungsentwurf zur Reform des Wahlrechts der Europäischen Union ab. Darin enthalten ist auch der Vorschlag zur Einführung einer Sperrklausel bei Europawahlen zwischen drei bis fünf Prozent. Mehr Demokratie lehnt dies entschieden ab. Wir hatten bereits im vergangenen Jahr erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen geklagt.

Von Charlie Rutz

Das EU-Parlament stimmt heute gegen 19 Uhr (siehe Livestream) über einen Entschließungsantrag des Europaabgeordneten Jo Leinen (SPD) ab, der eine Reform des EU-Wahlrechts vorsieht. Der Arbeitskreis Wahlrecht von Mehr Demokratie sieht darin zwar einige Verbesserungen, zugleich aber auch gravierende Verschlechterungen. Dazu gehört die geplante Einführung einer Sperrklausel bei Europawahlen, gegen die Mehr Demokratie bereits erfolgreich geklagt hat (siehe Hintergrundinformationen zur Bürgerklage).

Hier die Stellungnahme unseres Arbeitskreises Wahlrecht im Wortlaut:

Die geplante Reform des europäischen Wahlrechts bringt aus Sicht von Mehr Demokratie einige Verbesserungen, aber auch gravierende Verschlechterungen. Besonders negativ ist, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet werden sollen, eine Sperrklausel zwischen 3 und 5 Prozent einzuführen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 26.2.2014 zurecht festgestellt, dass mit der Einführung einer Schwelle „schwerwiegende Eingriffe in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der politischen Parteien“ verbunden seien und dass eine Prozenthürde „unter den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen nicht zu rechtfertigen“ sei. Wähler/innen einer Partei unterhalb der Sperrklausel üben keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments aus. Bei der Europawahl 2014 wählten 7 Prozent der deutschen Wähler/innen Parteien unter 3 Prozent, mehr als 10 Prozent stimmten für Parteien, die weniger als 5 Prozent erzielten. Die Stimmabgabe dieser Wähler/innen würde zukünftig völlig wirkungslos bleiben. Davon abgesehen trägt der Verzicht auf eine Sperrklausel unseres Erachtens auch nicht zur Zersplitterung des Europaparlaments bei.

Auch die Abgeordneten kleiner Parteien schließen sich in der Regel einer der acht länderübergreifenden Fraktionen des Europaparlaments an. Die Zahl der Fraktionen würde sich auch durch die verpflichtende Einführung einer Sperrklausel nicht verringern. Eine Zersplitterung erfolgt nur durch fraktionslose Abgeordnete. Das sind 14 von 751, darunter zwei Deutsche. Es ist dies nun der zweite Versuch, die vom Bundesverfassungsgericht für das Europaparlament verworfene Sperrklausel erneut wieder einzuführen.

Sollte der Bundestag die europäische Vorgabe in deutsches Recht übernehmen, werden wir eine Verfassungsbeschwerde prüfen. Problematisch ist weiterhin, dass die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, die Wahl über das Internet zu ermöglichen. Dies soll zunächst auf Personen mit eingeschränkter Mobilität und Personen, die im Ausland leben, beschränkt sein. Wir fürchten aber, dass das nur der Anfang einer Entwicklung zum elektronischen Wählen sein wird, denn das elektronische Wählen ist für die Staaten kostengünstiger. Der Ausschussvorsitzende Jo Leinen erklärte denn auch im Interview mit EuroAktiv.de: „Die zweite Innovation ist, dass wir die Stimmabgabe einfacher machen wollen, indem wir zum E-Voting wechseln….“ Stimmabgabe durch das Internet lehnen wir ab, weil die Auszählung für die Wähler/innen nicht nachvollziehbar ist und das Wahlgeheimnis nicht garantiert werden kann.

Auch die geplante Regelung, dass Unionsbürger/innen, die ihren Wohnsitz in einem Drittstaat haben, das Wahlrecht für das Europäische Parlament bekommen sollen, lehnen wir ab. Das Wahlrecht sollte an den aktuellen Wohnort, nicht an die Abstammung gekoppelt sein. Wer langfristig außerhalb Europas lebt, sollte dort wo er lebt auch wählen, und nicht da, wo er geboren wurde. Wir befürworten dagegen, dass den Mitgliedstaaten empfohlen wird, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken. Wir bedauern aber, dass den Mitgliedstaaten nicht ebenfalls empfohlen wird, personalisierte Listen einzuführen.

Die Wähler/innen sollten die Möglichkeit haben, einzelne Kandidat/innen auf den Listen der Parteien auszuwählen. Der Direktwahlakt sieht in seiner bestehenden Fassung bereits die Möglichkeit personalisierter Listen vor. Artikel 1.2 lautet: „Die Mitgliedstaaten können Vorzugsstimmen auf der Grundlage von Listen nach den von ihnen festgelegten Modalitäten zulassen.“ Wenn auf Grund der europäischen Beschlüsse Änderungen am deutschen Europawahlgesetz vorgenommen werden, sollte diese Möglichkeit genutzt werden.

nach oben