Mehr Demokratie-Umfrage offenbart Wissenslücken bei den Abgeordneten

[20/08] Bundestag stimmt dem EU-Reformvertrag zu

 

Eine überwältigende Mehrheit der 612 Bundestagsabgeordneten wird sich heute (24. April) für die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon aussprechen, die mit der Zustimmung des Bundesrates voraussichtlich am 23. Mai erfolgen soll. Der sogenannte EU-Reformvertrag ändert die bisher bestehenden Verträge zur EU und überträgt der Union unter anderem Kompetenzen in Bereichen wie Energiepolitik, Katastrophenschutz und Verwaltungszusammenarbeit. Was genau sich ändern wird, wissen allerdings die wenigsten Abgeordneten, wie eine Umfrage von Mehr Demokratie bestätigt.

 

"Wir haben ungefähr 20 zufällig ausgewählte Bundestagsabgeordnete zwei Tage vor der Abstimmung gebeten, uns einige Fragen zum EU-Reformvertrag zu beantworten", erläutert Michael Efler, Vorstandsmitglied von Mehr Demokratie. Die Mehrzahl davon war nicht bereit, Mehr Demokratie Rede und Antwort zu stehen. Begründet wurde das mit knapper Zeit, aber auch mit Aussagen wie man könne sich die Fragen schon vorstellen (Dr. Lale Akgün, SPD) oder es sei ja noch einen Tag Zeit, den Vertrag zu lesen (Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen).

 

"Immerhin sieben Befragte verschiedener Fraktionen haben unsere Fragen rund um Kompetenzerweiterung, Militärpolitik und Bürgerrechte auf europäischer Ebene beantwortet. Das Wissen war, vom Europa-Experten Axel Schäfer (SPD) mal abgesehen, ziemlich lückenhaft", so Eflers Bilanz. So stellte z.B. Gerd Höfer (SPD), ordentliches Mitglied im Verteidigungsausschuss, die These auf, eine Verpflichtung zur Stärkung militärischer Fähigkeiten der Mitgliedstaaten sei im Vertrag nicht enthalten. Tatsächlich besagt Artikel 28 a des Reformvertrags aber das genaue Gegenteil. Peter Weiß (CDU) antwortete auf die Frage, für welche Bereiche künftig ausschließlich die EU zuständig sei, so etwas gäbe es nicht, weil im Ministerrat ja alle Staaten vertreten seien. Dass über Zoll-Union, Wettbewerb im Binnenmarkt, Eurowährungspolitik, biologische Meeresschätze und Handelspolitik künftig die EU allein entscheidet, wusste lediglich einer der Befragten.

 

"Das Problem an der Ratifizierung ist, dass der Vertragstext nahezu unverständlich ist", erklärt Efler. "Bis zum 16. April war nicht einmal eine offizielle konsolidierte Fassung zugänglich." Wer also wissen wollte, was genau der neue Vertrag besagt, war gezwungen, die beiden bestehenden Verträge parallel dazu zu lesen und die einzelnen Abschnitte - bei denen sich zudem die Nummerierung geändert hat - zu vergleichen. Die gerade erschienene konsolidierte Fassung umfasst knapp 500 Seiten. Ein so umfangreiches und schwer verständliches Dokument kann selbst von interessierten Abgeordneten innerhalb einer Woche nicht durchgearbeitet werden, wie z.B. Jan Korte (Die Linke) eingestand.

 

"Uns geht es keinesfalls darum, einzelne Abgeordnete an den Pranger zu stellen", erläutert Efler. "Wir gehen vielmehr davon aus, dass die meisten Abgeordneten ebenso wie ihre befragten Kollegen nicht genau wissen, was sie da eigentlich ratifizieren." Darauf lassen auch die Reaktionen derer schließen, die das Interview ablehnten, weil sie keine Europa-Fachpolitiker seien. "Abstimmen müssen aber leider alle und nicht nur die Fachpolitiker. Angesichts von so viel Intransparenz und ungeklärten Fragen, ist es nicht verwunderlich, dass vielen Bürgerinnen und Bürgern die EU als bürokratisches Monstrum erscheint", so Eflers Fazit.

 

Mehr Demokratie hatte bereits 2005 einen direkt gewählten Konvent zur Erneuerung des EU-Grundlagenvertrags gefordert und weitere Vorschläge für eine demokratischere EU gemacht. Knapp 4.500 Bürgerinnen und Bürger haben in den letzten Monaten allein bei Mehr Demokratie die Forderung nach einem Volksentscheid zum EU-Reformvertrag unterschrieben. Im Rahmen der Protestaktion vor dem Reichstagsgebäude übergab der Verein heute die gesammelten Unterschriften an die Vize-Präsidentin des Bundestags Petra Pau (Die Linke).

 

 

Unsere Umfrageergebnisse im Internet:

www.mehr-demokratie.de/eu-umfrage.html

 

Weitere Informationen zu den ThemenEU-Reformvertrag und demokratischere EU:

www.mehr-demokratie.de/europa.html

 

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