Sprechen und Zuhören – das war die Bundesmitgliederversammlung in Berlin Mai 2022
Ein Bericht von Ina Kuhl
Die erste Mitgliederversammlung in diesem Jahr fand am 14. und 15. Mai in Präsenz in Berlin statt. Nach zwei Jahren Online-Mitgliederversammlung konnten wir uns endlich wieder vor Ort treffen, um uns auszutauschen und politische Schwerpunkte für die nächsten Jahre zu legen. Die Mitgliederversammlung stand ganz unter der Devise „Sprechen und Zuhören“. Den Samstag nutzen wir dafür, auf verschiedenen Wegen miteinander ins Gespräch zu kommen. Anschließend folgte dann sonntags der formale Teil.
Der Samstagvormittag begann mit einem Experiment. Statt direkt mit Formalitäten, Anträgen und Berichten einzusteigen, begegneten sich alle Anwesenden zunächst in einer Runde unseres neuen Formats „Sprechen und Zuhören“. Die Aufgabe war simpel und herausfordernd zugleich: „Kommt zusammen, sprecht darüber, wie es euch geht, aber hört auch aufmerksam den anderen zu. Zufällig zusammengestellt sprachen Gruppen von je drei Mitgliedern über die Frage: „Wie geht es dir als Menschen, dem die Demokratie am Herzen liegt, in den aktuellen Zeiten?“ Bevor also die eigentliche Versammlung losging, war bereits jede Stimme im Raum einmal hörbar und jede anwesende Person war mit mindestens zwei weiteren Menschen ins Gespräch gekommen. Das Experiment ist geglückt!
„Diese Krisen werden sich nur mit mehr Demokratie bewältigen.“
Es folgte eine Runde Zuhören – Unser Vorstandssprecher Ralf-Uwe Beck stimmte uns mit seiner politischen Rede auf die beiden Tage Mitgliederversammlung ein. Er sprach über den Krieg in der Ukraine und weitere große Krisen unserer Zeit. Wie können wir diese langfristig bewältigen? Das geht nur mit den Bürgerinnen und Bürgern und mehr Demokratie, wie Beck ausführte. Und es braucht die richtigen Instrumente, um sich einbringen zu können. Genau hier liegt die Aufgabe von Mehr Demokratie.
Nach einer bewegenden Rede ging es mit den sogenannten Barcamps weiter. Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Mitgliederversammlung boten Workshops an, deren Inhalt und Ablauf sie selber gestaltet haben. Das Ziel: mehr Beteiligung und ein offenerer Austausch untereinander. In drei Runden á 45 Minuten haben wir uns zu insgesamt 17 unterschiedlichen Themen ausgetauscht: Vom Zusammenspiel zwischen Klima & Demokratie über Systemisches Konsensieren in Theorie und Praxis, Aufbauende Demokratie oder Wahlkreisräte bis hin zu „Häusern für die Demokratie“– die Auswahl an Themen war groß, die Entscheidung fiel nicht leicht. Das Besondere an den Barcamps: Auch später gestellte Anträge waren Teil der Debatten. So gab es schon in Barcamps Austausch zur Verbindung der direkten Demokratie mit Bürgerräten, zur Digital Agenda und zur Demokratie in Europa.
Mehr Demokratie verabschiedet eine Digital Agenda & schlägt große Schritte in Richtung eines demokratischeren Europas vor
Nach den Barcamps stand eine Reihe inhaltlicher Anträge an. Das erste Thema auf der Agenda: Europa neu Denken und Gestalten. In insgesamt drei Anträgen haben wir unsere Vision für Europa geschärft: Wir wollen zukünftig die direkte Demokratie in Europa stärker in den Blick nehmen. Um eine hohe Akzeptanz der Demokratie der künftigen EU sicherzustellen, sollen Elemente der direkten Demokratie in den EU-Verträgen verankert werden. Dazu gehören das Recht auf Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksabstimmungen sowie obligatorische und fakultative Referenden. Auch eine Verknüpfung mit Bürgerräten ist an verschiedenen Stellen im Verfahren denkbar. Außerdem hat gerade die Konferenz zur Zukunft der EU ein Möglichkeitsfenster aufgestoßen, das Mehr Demokratie nutzen sollte. Die Mitgliederversammlung hat beschlossen, dass sich Mehr Demokratie für einen Verfassungskonvent einsetzen und sich dafür an einer internationalen Kampagne beteiligen wird.
Durch die der Verabschiedung einer Digital-Agenda für Mehr Demokratie soll der Verein die Möglichkeit bekommen, eine bürgerzentrierte Variante der voranschreitenden Digitalisierung zu entwickeln und bekannt zu machen. Die Digital-Agenda umfasst die Bereiche Digitale Werte, Transparenz, Gefahren aber auch Chancen der digitalen Demokratie. Die Verabschiedung der Digital-Agenda ist ein wichtiger Startschuss, um zukünftig weiter in dem Bereich zu arbeiten!
Berichte, Anträge und Abschluss
Der Sonntag startete ebenfalls mit einer Runde „Sprechen und Zuhören“, diesmal in Zweier-Gruppen zur Frage „Wie geht es mir heute nach dem ersten Tag der Bundesmitgliederversammlung?“. Darauf folgten die Berichte aus den Landesverbänden, dem Bundesverband sowie der Bericht der Rechnungsprüfer. Während aus Berlin beispielsweise vom Klimabürgerrat und dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ berichtet wurde, gab es vom Landesverband NRW eine Übersicht über die Aktivitäten rund um die Landtagswahl-Kampagne „Mitmachen möglich machen“. Claudine Nierth gab eine Übersicht über die Aktivitäten des Bundesvorstands. Allen voran die größte Neuigkeit des Frühlings: Der Bundestag will noch in diesem Jahr zufällig geloste Bürgerräte auf Bundesebene auf den Weg bringen. Das ist auch ein Erfolg von fünf Jahren Kampagnenarbeit von Mehr Demokratie – wir können stolz auf uns sein. Im Anschluss an diesen ermutigenden Bericht vom Bundesvorstand ging es mit inhaltlichen und formalen Anträgen weiter. Es wurde diskutiert und abgestimmt. Um die Atmosphäre zu verbessern, wurde in der Mittagspause sogar der Raum umgebaut: Aus starren Reihen wurde ein großer Kreis. Mein persönliches Highlight der Antragsdebatten: Ein Antrag wurde abgelehnt – viele Antragsteller erleben das sonst als eine Art Niederlage. Doch dieser Antrag war bereits in vorbereitenden Gesprächen und am Vortag im Barcamp diskutiert worden – dabei kamen Prinzipien des „Systemischen Konsensierens“ zum Einsatz. Nun ergriff der Antragssteller nach der Ablehnung nochmal das Wort und bedankte sich für die Diskussion und die Behandlung des Themas – damit sei das für ihn in Ordnung. Was für ein schönes Beispiel dafür, dass auch Entscheidungen entgegen der eigenen Meinung leichter tragbar sind, wenn man zuvor gehört und respektvoll diskutiert wurde.
Schnell verflogen die zwei intensiven und spannenden Tage und zum Ende bleibt nur noch zu sagen: Schön euch alle nach zwei Jahren Online-Treffen endlich (wieder) live gesehen zu haben und ganz großen Dank an Helena und Bertram für die tolle Moderation! Auch wenn wir die letzten Online-Versammlungen gut gemeistert haben, fehlte doch ein sehr wertvoller Punkt: Die Gespräche zwischen den offiziellen Debatten, ob bei Kaffee und Kuchen, beim Mittagessen oder abends im Biergarten. Ich freue mich schon auf die nächste Mitgliederversammlung in Kassel!