Argumente für eine Absenkung des Wahlalters

  • Für die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten ist eine bestimmmte politische Reife notwendig. Diese zu entwickeln, ist gesellschaftliche Aufgabe. Vor fast 50 Jahren (1970) wurde das Wahlalter in der Bundesrepublik von 21 auf 18 Jahre gesenkt. Seither wurde die politische Bildung gezielt weiter entwickelt: Eine politische Situation zu analysieren, sich eine Meinung zu bilden und Konsequenzen zu ziehen, wird eingeübt. Seit 2004 gibt es Standards für politische Bildung. - Diese Entwicklung hat nicht aufgehört.
     
  • Das Wahlalter hat nichts mit der Volljährigkeit zu tun. Der Gesetzgeber selbst hat sich von dieser Abhängigkeit getrennt: Das heutige Wahlalter für die Bundestagswahl wurde 1972 beschlossen, die Volljährigkeit erst 1975 auf 18 Jahre gesenkt. Für die Bundestagswahl 1972 waren also Volljährigkeit und Wahlalter nicht identisch. Dies ist auch nicht notwendig, denn bei einer Wahl handelt es sich um ein Massenverfahren, bei dem der Einzelne auf ein Angebot reagiert, dieses aber nicht gestalten kann. Das unterscheidet den Wahlakt vom allgemeinen Rechtsverkehr, für den die Volljährigkeit notwendig ist.
     
  • Demokratie lernt, wer sie laufend erfährt, übt und lebt. Je eher Menschen ihre Selbstwirksamkeit mit dem Gewicht ihrer Stimme erfahren, umso nachhaltiger wirkt diese Erfahrung, und prägt die Einstellung zum demokratischen System.
     
  • Umgekehrt sind ohne diese Erfahrungen politische Entscheidungen oft schwer nachvollziehbar, werden nicht verstanden und dann auch nicht akzeptiert. Ohne die Möglichkeit, Wünschen und Forderungen durch ihre Beteiligung Nachdruck zu verleihen, bleiben junge Menschen auf den guten Willen erwachsener Entscheidungsträger angewiesen. Jugendliche können dann sehr früh das demokratische System insgesamt in Frage stellen und/oder hier Ignoranz entwickeln. Analysen zeigen, dass Erstwählerinnen und Erstwähler, die ihr Wahlrecht nicht nutzen, auch später kaum zum Wählen zu motivieren sind. Umgekehrt werden sich junge Erwachsene, die sich früh beteiligen, wahrscheinlich auch später einbringen.
     
  • Eine Absenkung des Beteiligungsalters bedeutet außerdem, dass viele Jugendliche ihre erste Erfahrung mit einem Beteiligungsinstrument während ihrer Schulzeit erleben. Die schulische Demokratie-Bildung hat dann einen konkreten Anlass, das Demokratiesystem zu vermitteln und die Auswirkungen von Beteiligung zu reflektieren – ebenso die Folgen eines nicht genutzten Beteiligungsrechts. Mit Sicherheit ist dies ein nachhaltigeres Lernen zur Demokratie als theoretische Faktenvermittlung!
  • Angesichts der demografischen Entwicklung ist es notwendig, das Gewicht junger Menschen bei politischen Entscheidungen zu stärken: Denn der Anteil alter Menschen in Deutschland steigt. Im Jahr 2060 werden nur noch 12 Millionen unter 20-Jährige hier leben (stat. Bundesamt). Von heute 18 % sinkt ihr Anteil an der Bevölkerung dann auf 16 %: Jugendliche werden zur gesellschaftlichen Minderheit. Wie bringen sie dann ihre Interessen angemessen ein – zumal es vor allem um ihre eigene Zukunft geht?
  • In den meisten Bundesländern können bereits 16-Jährige an Kommunalwahlen teilnehmen (Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen). In Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein sind 16- und 17-Jährige auch bei Landtagswahlen wahlberechtigt.

von Ralf-Uwe Beck, Vorstandssprecher
9.7.2020

nach oben