Wir brauchen ein Demokratieupdate

Einordnung der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg

Die AfD wird am 1. September in Thüringen zur stärksten Kraft gewählt, in Sachsen rangiert sie knapp hinter der CDU, in Brandenburg knapp hinter der SPD. Das lässt sich nicht mit dem Stempel „Rechtsruck“ abtun, es ist weit mehr: Der Rechtsextremismus manifestiert sich in den Parlamenten.

Das wird insbesondere in Thüringen Folgen haben: Ob eine Regierung ohne AfD-Beteiligung zustande kommt, ist offen. Macht hat die AfD aber ohnehin. In Brandenburg und Thüringen wird sie mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag besetzen; damit hat sie eine Sperrminorität. Sie kann alles blockieren, was eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht: Verfassungsänderungen, die Wahl von Mitgliedern des Verfassungsgerichts und mehr. Sie wird Deals erzwingen, ihr Programm und Personal zur Verhandlungsmasse machen. Sie sagt selbst, dass sie die anderen Parteien vor sich hertreiben will. Sachsen kann nicht entspannt, aber entspannter auf die nächsten Wochen und diese Wahlperiode schauen. Die AfD hat hier die Sperrminorität knapp verfehlt. Der Weg für Verfassungsänderungen und vor allem für die längst überfällige Reform der direkten Demokratie wird schwierig, ist aber offen. Auch ist der Landtag bunter geworden.

In der DDR wurde, wenn es um die Mängel und den Mangel ging, unterschieden zwischen Sozialismus und „real existierendem Sozialismus“. Hinter den Wahlergebnissen liegen offenbar Enttäuschungen über die Mängel der real existierenden Demokratie. Und den Mangel an Möglichkeiten, mitzureden und mitzugestalten. Dabei haben die Menschen durchaus Interesse an der Politik, das zeigt die hohe Wahlbeteiligung in beiden Ländern. Nun sind endlich Innovationen gefragt; Mut, auszuprobieren, wie Menschen sich in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen können. So kann Vertrauen wieder aufgebaut werden.

Die Schubladen von Mehr Demokratie sind voll mit Ideen und Konzepten. Da ist das Wahlrecht und unser Vorschlag für eine Proteststimme: Sie könnte ein Angebot sein für Menschen, die von allem die Schnauze voll haben. Wir könnten die Kommunen zu Laboren machen für ein modernes Wahlrecht. Eine Möglichkeit auf Landesebene wäre auch zum Beispiel die Sperrklausel zu senken. Anstatt für stabile Mehrheiten zu sorgen, scheint die Sperklausel von fünf Prozent zunehmend eher das Gegenteil zu bewirken. Möglich wäre zudem eine Ersatzstimme einzuführen – eine zweite Wahloption, falls die Lieblingspartei an der Hürde scheitert.Bürgerinnen und Bürger sollten bei der Gesetzgebung mitwirken können. In zehn Bundesländern fehlen Öffentliche Petitionen, auch in Sachsen. Bürgerräte könnten etabliert und zur Normalität werden. Durch mehr Transparenz könnte das Institutionenvertrauen gestärkt werden.

Hier finden Sie weitere Beispiele für die Modernisierung des kommunalen Wahlrechts.

Absenkung des Wahlalters

Ermöglichung der Absenkung bis auf 14 Jahre, gekoppelt an ein Jugendwahlregister, in das sich Jugendliche freiwillig eintragen können; nur diese sind wahlberechtigt.

Integrierte Stichwahl

Diese ermöglicht es, bei Bürgermeister- und Landratswahlen auf einen möglicherweise notwendigen zweiten Wahlgang zu verzichten. Die Stichwahl wird in den ersten Wahlgang integriert. Hier können Kosten gespart werden.

Proteststimme

Mit der Proteststimme kann Protest ausgedrückt werden, ohne von der Wahl fernzubleiben, eine so genannte „Protestpartei“ wählen oder den Stimmzettel ungültig machen zu müssen. In differenzierter Form besteht die Möglichkeit, zwischen mehreren Formen des Protests bzw. der Stimmenthaltung wählen zu können. Die Proteststimmen haben keinen Einfluss auf den Wahlausgang, werden aber ausgewiesen und können so zum Signal an die Gesellschaft werden.

Offizielle Informationen über Bewerber an alle Wahlberechtigen

Ein Wahlheft bietet Informationen zur Wahl und über die antretenden Parteien und Kandidaten und Kandidatinnen – ähnlich der Abstimmungsbroschüre bei Volksentscheiden.

Obligatorische Zustellung der Briefwahlunterlagen

Alle Wählerinnen und Wähler erhalten die Briefwahlunterlagen automatisch; die Beantragung entfällt. Dies ist ein sehr wirksames Mittel zur Steigerung der Wahlbeteiligung; während der Corona-Pandemie wurde dies in Kommunen in Bayern und Baden-Württemberg praktiziert – mit erstaunlichen Steigerungsraten.

 

Zusätzliche Wahlorte, Wahltermine und verlängerte Wahlzeiten

Ausweisung weiterer Wahlorte und Ausweitung des Wahltermins

Wahlpflicht

Umstrittenstes und wirksamstes Instrument zur Steigerung der Wahlbeteiligung (in Australien 90 %); wirkt nur, wenn es mit Bußgeld bewehrt wird.

Bürgerräte

Ein Labor für Bürgerbeteiligung. Sie sind Lernorte der Demokratie, und zwar in dreierlei Hinsicht: Bürgerinnen und Bürger machen erstens die Erfahrung, mit anderen in ein respektvolles wechselseitiges Gespräch einzutreten. Zweitens bieten sie Gelegenheiten, damit Menschen sich selbst als politisch entdecken können - und zwar nicht nur im Hinblick auf enge eigene Interessen, sondern auf ein Gemeinwesen, für das alle zusammen Verantwortung tragen.

Allein werden wir das nicht schaffen. Es braucht eine gestärkte Zivilgesellschaft. Gestern hat die AfD den Spiegel befragt: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die stärkste Kraft im ganzen Land?“ Der Spiegel hat geantwortet: „Ja, die AfD ist die stärkste Kraft im Land. Aber da hinten, hinter den sieben Bergen, da ist die Zivilgesellschaft, und die ist jetzt aufgewacht, sie ist x-mal stärker als du.“ Sie hat gelernt, aufzutreten gegen den Rechtsextremismus. Jetzt wird sie lernen müssen, einzutreten für konkrete politische Ziele. 

Und nicht zu vergessen: Auch mit Volksbehren kann man die Dinge bewegen. So lassen sich Wahlrechtsreformen durchsetzen oder die direkte Demokratie stärken. Es braucht dazu nur, genau, eine starke Zivilgesellschaft.

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