"Jahrhundertereignis" Volksentscheid

2/05

Sachsen-Anhalts Wähler stimmen über die Zukunft der Kinderbetreuung ab

2.094.281 Wahlberechtigte sind am kommenden Sonntag aufgerufen, sich am ersten Volksentscheid in der Geschichte Sachsen-Anhalts zu beteiligen. Für viele könnte es auch der einzige bleiben, denn statistisch gesehen findet in einem Bundesland nur alle 38 Jahre ein Volksentscheid statt. Aus Sicht der Bürgeraktion Mehr Demokratie ist die geringe Zahl der Abstimmungen vor allem auf restriktive Verfahrensregeln zurückzuführen.

 

163 Volksinitiativen und Volksbegehren gab es bisher in Deutschland. Nur zwölf davon gelangten zur Abstimmung. Diese "von unten", also durch Initiative der Bürger ausgelösten Volksentscheide verteilen sich sehr ungleich auf die 16 Bundesländer: Spitzenreiter ist Bayern mit fünf, dicht gefolgt von Hamburg mit vier Urnengängen. Zwei Volksabstimmungen gab es in Schleswig-Holstein, in Sachsen eine.

 

"Ein Gesetz zu verabschieden, ist für Bürger ungleich schwerer als für Politiker. Die direkte Demokratie gleicht in den meisten Bundesländern eher einem Hindernislauf als einem fairen demokratischen Verfahren", so Claudine Nierth, Vorstandssprecherin von Mehr Demokratie. Dabei nehme die Zahl der Initiativen zu. "Die Bürger wollen Politik gestalten. Deshalb müssen die Spielregeln für Volksbegehren und Volksentscheide dringend verbessert werden."

 

Das gelte auch für Sachsen-Anhalt, obwohl es dort erst im vergangenen Jahr eine Reform gab. Für das am Sonntag zur Abstimmung stehende Gesetz zur Kinderbetreuung galten noch die alten Vorschriften. Danach mussten sich 250.000 Bürger (rund 11,9 Prozent der Wahlberechtigten) innerhalb von sechs Monaten an einem Volksbegehren beteiligen, damit es zum Volksentscheid kommt. Am 12. November 2004 beschloss der Magdeburger Landtag, die Hürde zu senken - auf elf Prozent (rund 230.000 Bürger). Zum Vergleich: In Hamburg und Schleswig-Holstein liegt das Quorum bei fünf Prozent - aus Sicht der Mehr Demokratie-Sprecherin ein gerade noch angemessener Wert.

 

Auch der Ausschluss bestimmter Themen von der Volksgesetzgebung sei mitverantwortlich für die geringe Zahl der Abstimmungen. In Sachsen-Anhalt betrifft dies, wie in fast allen anderen Bundesländern auch, Haushalts- und Abgabengesetze sowie Besoldungsregelungen. Das Bündnis "Für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt", Initiator der bevorstehenden Volksabstimmung, hatte Glück: Trotz "haushalterischer Bedenken" hatte die Landesregierung das Volksbegehren für zulässig erklärt.

 

Die letzte Hürde wartet oft beim Volksentscheid. In den meisten Bundesländern ist das Votum der Bürger nur dann rechtskräftig, wenn eine bestimmte Mindestbeteiligung oder Mindestzustimmung erreicht wird. In Sachsen-Anhalt ist ein Gesetzentwurf nur dann angenommen, wenn die Mehrheit der Abstimmenden sich dafür entscheidet und diese Mehrheit zugleich mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten ausmacht. In Hamburg und Schleswig-Holstein scheiterte bisher jeweils ein Volksentscheid an ähnlichen Anforderungen.

Teilen:
nach oben