Der Fachverband Mehr Demokratie fordert die verhandelnden österreichischen Parteien ÖVP und FPÖ auf, sich nur auf kluge Verfahren der direkten Demokratie einzulassen. „Der Vorstoß ist zu begrüßen, aber schlechte Spielregeln führen zu schlechten Spielen mit enttäuschten Spielern und enttäuschenden Ergebnissen“, sagt Claudine Nierth, Mehr Demokratie-Vorstandssprecherin, die 2015 auch ständiges Mitglied der Enquete-Kommission des Nationalrats zum Demokratieausbau in Österreich war.
Besonders kritisch sieht Mehr Demokratie das aktuell von ÖVP und FPÖ diskutierte Beteiligungsquorum von 40 Prozent als Bedingung für einen erfolgreichen Volksentscheid. „Beteiligungsquoren führen im Gegensatz zu Zustimmungsquoren zu verzerrten Abstimmungsergebnissen, weil die Gegner einer Initiative erst gar nicht abstimme gehen“, erklärt Nierth.
Sollte sich die ÖVP mit ihrem Vorschlag durchsetzen, müssten für ein erfolgreiches Volksbegehren außerdem 640.000 Menschen (10 Prozent der Wahlberechtigten) innerhalb von einer Woche unterschreiben. „Diese Hürde ist für Initiativen durch die Bürger viel zu hoch, dass schaffen nur finanzstarke Lobbyverbände zu sehr emotionalisierten Themen“, meint Nierth.
„Es ist gut, dass nach einem Volksbegehren das verbindliche Recht auf einen Volksentscheid eingeführt wird, aber es müssen auch einvernehmliche Kompromissmöglichkeiten mit dem Parlament möglich sein. Außerdem sollte das Parlament das Recht erhalten, einen Alternativvorschlag mit zur Abstimmung zu stellen“, sagt Nierth. Wer die Demokratie stärken will, müsse die Gräben zwischen Politik und Bürgern schließen, statt sie zu vertiefen. Das gelinge nur, indem verbindliche Verhandlungsräume geschaffen werden. „Es geht um die Förderung der Debatte und um die besten Lösungen.“
Mehr Demokratie empfiehlt ein dreistufiges Verfahren wie in den deutschen Bundesländern üblich: In zwei Stufen werden Unterschriften gesammelt und erst nach der Beratung im Parlament, die auch Kompromisse ermöglicht, kommt es zur Abstimmung.
+++ Hintergrund:
Bisher kommt es in Österreich nur dann zu bindenden Volksentscheiden, wenn das Parlament es möchte. Dies ist bisher selten vorgekommen: 1978 gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf und 1994 für den EU-Beitritt. 2013 wurde in einer nicht bindenden Volksbefragung über die Wehrpflicht abgestimmt. Die Bürger selbst haben keine Möglichkeit, eine Abstimmung mit verbindlichem Ergebnis herbeizuführen. Bisher können die Österreicher mit 100.000 Unterschriften zumindest ein Thema auf die politische Agenda zu setzen – dieses Instrument entspricht aber eher einer Petition als einem echten direktdemokratischen Verfahren mit verbindlichen Folgen.
Übersicht zu Volksabstimmungsregeln in Österreich: <link fileadmin pdf ve_in_oesterreich.pdf>www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/ve_in_oesterreich.pdf