Mit den Ausschüssen wie sie in CETA geplant sind, werden Gremien geschaffen, die die Verträge auslegen oder sogar Anhänge verändern dürfen. Dabei müssen sie sich nicht mit den Parlamenten der Mitgliedstaaten abstimmen und werden auch nicht von ihnen gewählt. Eine Handvoll Menschen vertreten die EU und deren Mitgliedstaaten, ohne dass sie von unseren Vertreterinnen und Vertreter in den Parlamenten, ganz zu schweigen von uns Bürgerinnen und Bürger, legitimiert wären. Ihre Beschlüsse können für die EU-Organe und die Mitgliedstaaten trotzdem bindend sein. In JEFTA sind im Vergleich zu CETA die Ausschusszuständigkeiten weniger umfassend ausgeprägt.
Handelsabkommen und Demokratie
Seit TTIP, CETA, JEFTA und Co., den Handels- und Investitionsschutzabkommen völlig neuer Bauart, geht es nicht mehr nur um Handel. Denn demokratisch nicht legitimierte Gremien, eine investorenfreundliche Paralleljustiz und Intransparenz in den Verhandlungen machen solche Abkommen zu einem Demokratieproblem. Und damit zum Thema für Mehr Demokratie.
Was kritisiert Mehr Demokratie an JEFTA und anderen Handelsabkommen neuen Typs?
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1. Demokratisch nicht legitimiertes Ausschuss-System
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2. Paralleljustiz durch Investitionsschutz-Abkommen
Mit dem ISDS (Investor-State-Dispute-Settlement) und auch mit der Weiterentwicklung davon, dem ICS (International Court System), entsteht eine Paralleljustiz zu den staatlichen Gerichten und zur Europäischen Gerichtsbarkeit. Investoren werden gegenüber Staaten, aber auch gegenüber zivilgesellschaftlichen Akteuren einseitig bevorteilt. Das Schiedsgerichtssystem könnte von Investoren sogar dazu genutzt werden, nationale Gerichte oder den EuGH zu umgehen. In Ländern mit entwickelten Rechtssystemen ist eine solche Paralleljustiz überflüssig. Bei JEFTA wurde der Investitionsschutzteil zunächst ausgeklammert, soll aber in einem gesonderten Verfahren behandelt werden. Wir werden das kritisch begleiten und, falls es aussichtsreich ist, auch rechtlich dagegen vorgehen.
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3. Alleinige Zuständigkeit der EU (EU only)
Bei CETA wurde viel darüber diskutiert, welche Teile in der alleinigen EU-Zuständigkeit liegen und welche die Mitgliedstaaten betreffen. Eine saubere und eindeutige Abgrenzung ist hier sehr schwierig. JEFTA wird von der EU-Kommission als reines EU-Abkommen betrachtet. Das Thema Investorenschutz wurde vorsorglich ausgeklammert und soll in einem extra Vertragswerk behandelt werden. Das legt den Verdacht nahe, dass die EU-Kommission sich lästige Debatten und kritische Einwände der Mitgliedstaaten einfach ersparen will. Auf der anderen Seite ist der Investorenschutz einer der Hauptkritikpunkte die Demokratie betreffend. Es wird viel schwieriger werden, eigene Investitionsschutzverträge durch Bundestag und Bundesrat zu bekommen als ganze Handelsabkommens-Pakete, in denen der Investitionsschutz quasi mit durchgewunken wird.
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4. Schleichende Kompetenzverschiebung
Die EU verfügt heute (unter anderem) über außenhandelsrechtliche Kompetenzen im Bereich des Waren- und Dienstleistungsverkehrs und hinsichtlich der Direktinvestitionen. Offenkundig kann sich so gut wie jede Regelung eines EU-Mitgliedstaats irgendwie auf den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr auswirken. Umweltrecht, Sozialrecht, Arbeitsrecht, Steuerrecht, Bildungsrecht, Berufszulassungsrecht, Recht der Kultur etc.: Jedenfalls mittelbare Rückwirkungen auf den Marktzugang und die Rechtsstellung von Waren, Dienstleistungen und Investitionen sind immer gegeben. Die Gefahr besteht, dass die außenhandelsrechtlichen Kompetenzen der EU als Hebel verwandt werden, über den die internen Verhältnisse in den EU-Mitgliedstaaten umfassend reguliert und harmonisiert werden.
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5. Fehlender Einfluss der Parlamente
Die Parlamente der Mitgliedstaaten und auch das Europäische Parlament werden in ihren Einflussmöglichkeiten beschnitten: einerseits durch die mächtigen Vertragsgremien (siehe Punkt 1), andererseits aber auch schon beim Zustandekommen der Verträge. So hat zum Beispiel der Rat der EU CETA für vorläufig anwendbar erklärt. Und das, obwohl dort mit der Anerkennung von Berufsqualifikationen, dem Arbeitsschutz und der nachhaltigen Entwicklung Gegenstände geregelt sind, über die der Rat nicht ohne die Parlamente der Mitgliedstaaten verfügen darf. Nicht einmal das Europäische Parlament hat der vorläufigen Anwendung ausdrücklich zugestimmt. Im Falle von Abkommen, die wie JEFTA als „EU only“ deklariert werden, sind die nationalen Parlamente komplett außen vor. Die Bürger/innen aller Mitgliedstaaten sind von den Auswirkungen solcher Abkommen betroffen – sie haben ein Recht darauf, zumindest über ihre Vertreter/innen daran mitwirken zu können.
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6. Intransparenz der Verhandlungen
Wie schon TTIP und CETA wurde auch JEFTA im Geheimen verhandelt. Weder die EU-Kommission noch die japanische Regierung veröffentlichen Verhandlungsdokumente. Nicht einmal das Verhandlungsmandat wurde von der EU veröffentlicht. Das meiste, was wir wissen, geht auf Leaks zurück, also solche Dokumente, die aus der Verwaltung oder aus den Parlamenten heraus zivilgesellschaftlichen Organisationen zugespielt oder ohne Erlaubnis veröffentlicht wurden. Erst nachdem Nichtregierungsorganisationen im Frühjahr und Sommer 2017 geheime JEFTA-Verhandlungsdokumente veröffentlicht haben, bewegte sich auch die EU-Kommission. Sie stellte zunächst im März zwei Kapitel und am 6. Juli weitere 16 Kapitel des Vertrages auf ihre Website. Im Dezember wurden nach der politischen Einigung über den Vertragstext weitere Dokumente veröffentlicht. Seit April 2018 ist der vollständige Text des Abkommens auch in deutscher Sprache verfügbar. Es kann nicht sein, dass die EU-Kommission nur auf öffentlichen Druck und in Salami-Taktik Informationen zu Handelsabkommen an die Öffentlichkeit gibt.
Was tut Mehr Demokratie gegen JEFTA und Co.?
Mehr Demokratie ist Mitglied im „Netzwerk gerechter Welthandel“, das über TTIP, CETA und JEFTA hinaus für eine demokratischere, gerechtere und transparentere Handelspolitik eintritt. Als Teil des Netzwerks sprechen wir uns gemeinsam mit Bündnispartner/innen für die Ablehnung von JEFTA in seiner jetzigen Form aus. Zum Beispiel in einem offenen Brief an den Bundestag.
Mehr Demokratie prüft, ob bei JEFTA und Co. Demokratiegrundsätze verletzt werden und ob es über den politischen Protest hinaus aussichtsreich ist, auch rechtlich dagegen vorzugehen. Im Falle von CETA lässt sich gut belegen, dass das Abkommen zwischen Kanada und der EU in mehreren Punkten unsere Demokratie auszuhöhlen droht, so dass wir dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.
Wir haben in den letzten Wochen eine Verfassungsbeschwerde gegen JEFTA geprüft. Dabei hilft der Vergleich zur CETA-Klage, in der vier Punkte angegriffen wurden:
1. Die Paralleljustiz
2. Die vorläufige Anwendung
3. Das fehlende Vorsorge-Prinzip
4. Die undemokratischen Ausschüsse
In JEFTA direkt gibt es keine Schiedsgerichte. Diese werden in einem gesonderten Verfahren verhandelt, dies können wir als Teilerfolg werten. Wie das gesonderte Investitionsschutzabkommen aussieht, müssen wir im Auge behalten und dann möglicherweise dagegen vorgehen. JEFTA wird nicht vorläufig angewendet, sondern tritt als reines EU-Abkommen sofort in Kraft. Das Vorsorgeprinzip ist auch in Japan eines der Grundprinzipien der Gesetzgebung. Der letzte und wichtigste Anknüpfungspunkt sind die undemokratischen Ausschüsse: Laut unserem Rechtsgutachter Prof. Wolfgang Weiß haben die JEFTA-Ausschüsse weniger umfangreiche Rechte als die CETA-Ausschüsse. Es verbleibt also zu wenig Angriffsfläche für eine aussichtsreiche Verfassungsbeschwerde. Politisch wendet Mehr Demokratie als Teil von „Netzwerk Gerechter Welthandel“ sich trotzdem gegen JEFTA (Siehe zum Beispiel hier).
Über die Beschäftigung mit einzelnen Handelsabkommen hinaus machen wir hier konkrete Vorschläge, wie solche Abkommen demokratischer gestaltet werden können
Wie könnte eine andere Handelspolitik aussehen?
Zunächst mal sollten alle Handelsverträge transparent verhandelt werden. Es braucht allgemeine Regeln zur Veröffentlichung der Verhandlungsaufträge und der verhandelten Themen. Die Verhandlungen müssen natürlich nicht öffentlich stattfinden, aber das Europäische Parlament als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger Europas, aber auch die Bürger und Bürgerinnen selbst, müssen umfassend und ständig informiert werden.
Wichtig ist auch, dass die Verhandelnden nicht fast ausschließlich mit Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter der Industrie sprechen, sondern gleichgewichtig andere Akteure aus der Zivilgesellschaft zu Wort kommen. Vor den TTIP-Verhandlungen beriet sich die EU-Kommission in 90 Prozent der Fälle mit Industrie- und Wirtschaftsvertreterinnen und Wirtschaftsvertreter. Im Fall von JEFTA haben sich Beamtinnen und Beamten der EU-Generaldirektion Handel zwischen Januar 2014 und Januar 2017 190 Mal mit Konzernlobbyisten getroffen, dagegen kein einziges Mal mit Gewerkschaften oder Klein- und Mittelständlern. Insgesamt fanden 89 Prozent der Treffen mit Unternehmensvertretern und Unternehmensvertreterninnen statt, lediglich vier Prozent mit der Zivilgesellschaft. (Quelle: Corporate Europe Observatory) Handelsabkommen neuen Typs betreffen die gesamte Bevölkerung, nicht nur Wirtschaftsunternehmen, weil sie weit über den Abbau von Zölle hinausgehen. Was das im Einzelnen bedeutet, wird hier am Beispiel CETA erklärt.
Handelsverträge müssen selbstverständlich kündbar sein und dürfen nicht vorläufig angewendet werden. Sie sollten also so lange unwirksam bleiben, bis ein Mitgliedstaat, der davon betroffen ist, auch explizit zugestimmt hat und dann unwirksam werden, wenn ein Mitgliedstaat aus irgendwelchen Gründen nicht mehr daran beteiligt sein will.
Das EU-Parlament und die Bürgerinnen und Bürger sollten auf Handelsverträge Einfluss nehmen können: Das EU-Parlament und der Rat sollten gemeinsam über den Auftrag für neue Handelsverträge entscheiden und das Parlament sollte Nachverhandlungen durchsetzen können. Nach Abschluss der Verhandlungen sollten auch die Bürgerinnen und Bürger ein Mitspracherecht bekommen – zum Beispiel per Referendum. Zudem sollte eine Europäische Bürgerinitiative zur Aufhebung oder Veranlassung von Verhandlungsmandaten möglich sein.