Reform des Bundestagswahlrechts - eine Chronologie

Rund um die Wahlrechtskommission und das Thema "Verlängerung der Legislaturperiode" haben wir hier FAQ zusammengestellt.

Donnerstag, 02.12.2022: Modernisierung der Parlamentsarbeit

In ihrer letzten Arbeitssitzung hat sich die Wahlrechtskommission der Modernisierung der Parlamentsarbeit gewidmet. Im Detail wurden dazu drei verschiedene Themenblöcke behandelt: Der erste Themenblock widmete sich dem Potential der Digitalisierung um die Parlamentsarbeit effizienter, transparenter und attraktiver zu gestalten. In dem zweiten Themenblock wurden Maßnahmen zur Einbeziehung der Bürger besprochen, die für mehr Akzeptanz in der Bevölkerung und weitere Partizipationsmöglichkeiten sorgen sollen. Zuletzt wurde erörtert wie der Bundestag seine parlamentarischen Rechte in internationalen Entscheidungsprozessen besser wahrnehmen kann. In diesem Liveticker werden die Themenblöcke nach einander im Detail betrachtet:

  • Verbesserung der Parlamentsarbeit durch Digitalisierung

    Entgegen der Titulierung ging es um erstaunlich wenig Digitalisierung. So einigte sich die Kommission bspw. auf eine elektronische Stimmenabgabe bei Schlussabstimmungen, die den archaisch wirkenden Urnengang ablösen soll, von einer Digitalisierung könne hierbei aber kaum die Rede sein, so Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim. Gegenüber einer wirklichen Digitalisierung der Stimmabgabe wurden soagr verfassungsrechtliche Bedenken geäußert aufgrund der Unverbindlichkeit der Stimmenabgabe. Ansgar Heveling (CDU) gibt zudem zu Protokoll, dass das archaische „Wuseln“ bei den Wahlurnen den Austausch unter den Abgeordneten fraktionsübergreifend fördert.

    Dieses „Wuseln“ trägt aus Sicht vieler Kommissionsmitglieder zu einem anderen Problem bei, nämlich das gängige „Durchhalteritual“. An diesem Tag fand bspw. eine Plenarsitzung statt, die zum Stand der Sitzung bis drei Uhr Nachts dauern soll. Dies sei zwar durchaus ehrenwert, wie Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim anmerkte, die Attraktivität des Bundestags leide darunter aber merklich. Eine elektronische Stimmenabgabe wäre ein kleiner Schritt, die Prozesse im Bundestag effizienter zu gestalten, wodurch die absolute Sitzungsdauer verkürzt wird. Sebastian Hartmann (SPD) schlägt zudem vor, dass man über mehr Sitzungswochen nachdenken müsse um die bestehenden zu entlasten.

    Das Kernproblem bleibt jedoch bestehen: der Gesetzgebungsprozess im Bundestag hat sich in den letzten Jahren so beschleunigt, dass die Abgeordneten viel mehr in weniger Zeit leisten müssen. Eine externe Beratung durch Sachverständige, wie es bei der Kommissionsarbeit der Fall ist, ist in den meisten Gesetzgebungsprozessen nicht möglich, so Prof. Dr. Bernd Grzeszick. Auch die Abgeordnete leiden darunter, so wird die Arbeit im Bundestag durch solche Entwicklungen immer weniger familienfreundlicher. Die hybride Teilnahme an Ausschusssitzungen ist dagegen eine seit Corona bewährte Methode und könnte, wenn breitflächig angewandt, die nötige Entlastung ermöglichen. Momentan werden vor allem Frauen von dem „Durchhalteritual“ und der Arbeitslast abgeschreckt; eine Parität rückt damit in weite Ferne.

  • Maßnahmen zur Einbindung der Bürgerinnen und Bürger

    Zentraler Diskussionspunkt war in diesem Themenfeld die Einführung und Rolle von Bürgerräten. Zwar besteht, von Albrecht Glaser (AfD) abgesehen, allgemeiner Konsens, dass sie in ihrer beratenden Funktion eine nützliche Ergänzung zum bestehenden Parlamentarismus sind, über ihre genaue Ausgestaltung, sowie über weitreichenderen Forderungen ist man sich allerdings nicht einig gewesen. Hauptstreitpunkt war die Repräsentativität der Bürgerräte, die durch die Selbstselektion der Ausgewählten verzerrt wird. Der Sachverständige Prof. Dr. Christoph Möllers sprach den Bürgerräten jegliche demokratische Legitimation ab, da die Bevölkerung in der Zusammensetzung des Bürgerrats nicht beteiligt wurde. Verbindliche Beschlüsse seien deswegen aus seiner Sicht nicht möglich. Auf der Seite der Befürwortern von Bürgerräten wurde der konstruktive und konsensorierentierte Ansatz der Bürgerräte unterstrichen. Prof. Dr. Behnke forderte sogar die verbindlichen Bürgerratsinitiativen, damit sich der Bürgerrat aktiv in die Politik einbringen kann.

    Neben Bürgerräten machte die Sachverständige Elke Ferner auf die Wahlkreisarbeit der Abgeordneten aufmerksam, die aus ihrer Sicht den wichtigsten Beitrag zur Einbindung der Bürgerin oder des Bürgers leiste. Albrecht Glaser (AfD), der in den Bürgerräten in erster Linie ein Manipulationsinstrument der Regierung sah, forderte die Volksabstimmung als Alternative und befürchtete sogar, dass Bürgerräte vor allem als Ersatz für die Volksabstimmung dienen. Prof. Dr. Behnke dagegen machte auf die Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre aufmerksam, dessen destruktive Folgen nicht durch die Schaffung von institutionalisierten Bürgerräten kompensiert werden können.

  • Stärkung des Parlaments in internationalen Entscheidungsprozessen

    Ein paar Stunden vor der Kommissionssitzung wurde das Freihandelsabkommen CETA vom Bundestag ratifiziert. Hauptkritikpunkt waren dort unter anderem die „Gemeinsamen Ausschüsse“, die in Zukunft ohne Zustimmung des Bundestag Änderungen am Vertragstext vornehmen können. Das Argument der Selbstentmachtung schwingt in internationalen Verträgen oft mit, in denen die Bundesregierung oder die Europäische Kommission die zentrale Rolle übernimmt. In der Kommission hat sich schnell ein Konsens herauskristallisiert, dass der Bundestag ein mit der Bundesregierung und der Kommission zumindest gleichberechtigter Akteur sein muss. Hierbei sollen Beteiligungsgesetze wie das EUZBBG, das die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundestag regelt, auf andere internationale Verträge angewandt werden. Dafür bräuchte es nur den politischen Willen im Bundestag.

Die Kommission hat abschließend den Fahrplan für das Jahr 2023 beschlossen. Die Arbeit der vergangenen Monate sollen in einem Abschlusspapier zusammengefasst und spätestens Ende April verabschiedet werden.


 

Donnerstag, 10.11.2022: Wahlkreise und Wahlkreisarbeit

In der 14. Sitzung der Wahlrechtskommission wurde das Thema „Durchführung der Wahl“ beendet, da dies in der letzten Sitzung aufgrund von Zeitmangel nicht möglich war. In Verbindung damit wurde das Verfahren der Wahlprüfung behandelt. Zusätzlich wurde das Thema Wahlkreis debattiert. Zum einen ging es dabei um Wahlkreiszuschnitte vor dem Hintergrund des Gleichheitsgebots. In Deutschland können die Wahlkreise nämlich in ihrer Größe, gemessen an der Anzahl der Wahlberechtigten, bis zu 25% abweichen, wodurch ein Direktmandat im Bundestag unterschiedlich viele Stimmen auf sich vereint. Die Meinungen gingen dabei auseinander inwiefern dies verfassungsrechtlich zulässig ist. Zum anderen ging es über die Arbeit der Wahlkreiskommission und ob eine transparentere Arbeitsweise dienlich ist. Im Folgenden wird auf die Themenblöcke eingegangen.

  • Durchführung der Wahl:

    Bei diesem Thema geht es vor allem darum, wie die Wahl für die Bürger attraktiver gestaltet werden kann. Ziel ist es die Inklusion aller Bevölkerungsschichten und eine hohe Wahlbeteiligung zu erzielen. Andererseits darf dadurch die Wahl in Zeiten von Fake News und Wahlmanipulationen nicht an Glaubwürdigkeit verlieren. Die Digitalisierung der Wahl ist damit aus der Sicht vieler Sachverständigen noch nicht reif, allerdings schlägt Prof.  Vehrkamp vor, die Wahlunterlagen unterhalb der Stimmenabgabe zu digitalisieren (siehe vorherige Sitzung). Zusätzlich schlägt er noch zwei weitere Ansätze zur Erhöhung der Wahlbeteiligung vor: Briefwahlunterlagen sollen automatisch mit der Wahlbenachrichtigung verschickt werden und die Früh-Wahl soll vereinfacht werden. Mit der Früh-Wahl ist die Möglichkeit gemeint schon vor dem Wahltermin die Stimme in einem Lokal abgeben zu können.

    Der Wahltermin selbst war ebenfalls Gegenstand der Debatte und zwar äußerten sich mehrere Sachverständige gegen den Sonntag als einzigen Wahltag. Frau Schmahl schlug vor den Sonntag zu als Wahltag belassen und zusätzlich einen Wochentag zu benennen. Prof. Laskowski plädiert im Generellen für mehr Flexibilität und weist auf die juristischen Freiräume hin, die vom Gesetzgeber genutzt werden sollten.

    Überlegungen die Wahllokale stärker in die Öffentlichkeit hineinzutragen, standen ebenfalls im Raum. Mobile Wahllokale oder Sonderwahlräume könnten dies ermöglichen, stehen aber mit der ortsgebundenen Wahlregistrierung über Melderegister, dank derer die Anmeldung automatisch erfolgt, im Konflikt, so Prof. Meinel.

    Lange Wahlschlangen müssten zudem laut Prof. Vehrkamp unbedingt vermieden werden, da sie einer Hauptgründe sind, warum Wähler von ihrem Recht keinen Gebrauch nehmen. Hierfür würden Simulationen helfen, wofür es momentan allerdings an Geldern fehlt.

    Abschließend wirft Prof. Schmahl ein, ob es nicht sinnvoll wäre, Großveranstaltungen, wie sie bei der Bundestagswahl in Berlin abgehalten wurden, am Wahltag zu verbieten, denn eben dies trug maßgeblich zum Wahlchaos in der Hauptstadt bei.

  • Prüfung der Wahl:

    Die Bundestagswahl in Berlin wurde über die Sitzung hinweg immer wieder als Negativbeispiel genannt, nicht nur bei der Durchführung der Wahl, sondern auch beim Prüfungsverfahren, da erst ein Jahr nach dem Wahltag der Bundestag beschlossen hat, die Wahl in den betroffenen Wahlkreisen zu wiederholen. In der Diskussion, wie das Verfahren beschleunigt und effizienter gehalten werden kann, wurde erörtert welcher Akteur neben dem Bundestag eine Wiederholung der Wahl beschließen sollte. Während Prof. Laskowski eine Beteiligung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) befürwortet, da es ihrer Meinung nach früher oder später sowieso miteinbezogen wird, sind Prof. Mellinghof und Prof. Grzeszick gegen eine Beteiligung. Aus ihrer Sicht ist das Gericht aufgrund des Mangels eines formalisierten Prozesses schlecht in der Lage eine Prüfung effizient vorzunehmen. Dazu hinkommt, dass eine Wahlprüfung Ermittlungsarbeiten umschließt, die in Prof. Grzeszicks Augen am besten von einer unabhängigen Kommission übernommen wird, wie dies in der Wahlkreiskommission bereits der Fall ist.

     Prof. Vehrkamp wirft derweil ein, dass eine Ermittlung des Ablaufs der Wahl momentan schlicht nicht zufriedenstellend durchgeführt werden kann aufgrund mangelnder Wahlniederschriften, die von den Wahlkreishelfern in ihrer Komplexität nicht ordnungsgemäß ausgefüllt werden (können), vor allem nicht bei einer Wahl wie der in Berlin. Auch hier sieht Prof. Vehrkamp in der Digitalisierung einen Weg zur Abhilfe.

  • Wahlkreiszuschnitt:

    In dieser Debatte stand die Frage im Raum inwieweit die unterschiedlichen Wahlkreisgrößen in Deutschland demokratisch und verfassungsrechtlich vereinbar sind. Das BVerfG hatte in seinen Urteilen zu Beginn des Jahrtausends die Verfassungskonformität von Abweichungsspannen bis zu 25% gestattet. Das bedeutet, dass der größte Wahlkreis 25% größer sein darf als der kleinste. Manche Sachverständige wie Prof. Laskowski und Prof. Schmahl finden diese Toleranzgrenze allerdings als zu hoch angesetzt und verweisen auf die Venedig-Kommission, die dies bereits beanstandete und an eine Toleranzgrenze von 15% appellierte. Das Hauptproblem hierbei ist nämlich der Verstoß der Wahlgleichheit: ein Abgeordneter kann über das Direktmandat weniger absolute Stimmen vertreten als ein anderer.

    Die Sachverständigen von Achenbach und Meinel sehen kein Problem mit den Wahlkreisgrößen, da sich die Abweichungsspanne aufgrund der Binnendiversität des deutschen Föderalstaats ergibt. Die Wahlkreise werden nämlich anhand der Ländergrenzen vorgenommen, die Wahlkreise von Stadtstaaten unterscheiden sich zu denen der Flächenstaaten entsprechend automatisch. Aufgrund der föderalen Struktur ist deswegen eine Abweichungsspanne die über den internationalen Durchschnitt liegt gar nicht zu vermeiden.

    Andere Sachverständige sehen in den abweichenden Wahlkreisgrößen kein Problem aufgrund des Zweistimmensystems. Während die Zusammensetzung des Parlaments in einem Mehrheitswahlsystem über die Direktmandate bestimmt wird, bleiben die Stimmenproportionen in Deutschland unberührt aufgrund der Zweitstimme. Einzig die Überhangmandate verzerren die Proportionen, weswegen die Ausgleichsmandate geschaffen wurden. In einem Grabenwahlsystem, in dem Erst- und Zweitstimme nicht verrechnet werden, ist die Wahlgleichheit folglich viel wichtiger als in dem aktuellen. Hierbei warnt Prof. Mellinghof jedoch, dass Deutschland kein Verhältniswahlrecht mit Personalisierungseinfluss hat, sondern dass Erst- und Zweitstimme gleichberechtigt sind. Obwohl er der Argumentation seiner Vorredner zustimmt, gibt er zu Bedenken, dass die Wahlgleichheit dennoch nicht zu vernachlässigen sei.

    Die Frage wie die Toleranzgrenze angesetzt werden muss hängt dementsprechend stark von der Wahlrechtsreform der Ampelkoalition ab. Mit dem vorgeschlagenen Kappungsmechanismus würde das Verhältniswahl gestärkt und die Notwendigkeit gleichgroßer Wahlkreise entsprechend verringert werden.

  • Arbeit der Kommission:

    Ob die Arbeit der Wahlkreiskommission in naher Zukunft transparenter werden soll, war ebenfalls Gegenstand der Debatte. Einerseits steht niemanden dem Transparenzgedanken an sich entgegen, doch es melden sich kritische Stimmen inwiefern die internen Prozesse der Kommission veröffentlicht werden sollen. Dadurch könnte es zu einer Politisierung einer Expertenkommission kommen, die eigentlich auf rein wissenschaftlicher Basis arbeiten soll.

    Dem Gegenüber steht die Möglichkeit die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Arbeit der Wahlkreiskommission zu erhöhen. Herr Heveling wies daraufhin, dass bspw. Wahlkreisänderungen zu einem zeitweiligen Einbruch der Wahlbeteiligung führen können aufgrund von Verdruss in der Bevölkerung. Durch mehr Transparenz kann die Kommission ihre Entscheidungen der Bevölkerung besser darlegen.

Die Sitzung endete mit einem Antrag von Albrecht Glaser (AfD), der forderte, nicht nur die Stellungnahmen der Sachverständigen auf der Seite des Bundestages zu veröffentlichen sonder, sondern auch die der Abgeordneten. Dieser Antrag fand bei den Kommissionsmitgliedern mit Verweis auf die öffentlich zugänglichen Videoaufzeichnungen und Protokolle, keine Mehrheit und wurde abgelehnt.


 

Donnerstag, 20.10.2022: Wahlverfahren

Auf der 13. Sitzung der Wahlrechtskommission des Bundestags standen gleich fünf Themen auf der Tagesordnung, die im einzelnen vorgestellt werden. Eine Ausnahme stellt das fünfte Thema dar, die Durchführung von Wahlen, das aus zeitlichen Gründen auf die nächste Sitzung im November verschoben wurde. Die Fülle an Themen und die dünnere Besetzung der Kommission zeigt, dass es sich hierbei um in ihrer Wichtigkeit sekundäre Themen handelt, dabei liegt allen das gleiche Problem zugrunde, nämlich die niedrige Wahlbeteiligung. Aus dem Grund lohnt sich ein genauer Blick:

  • Wahlbündelung:

    Das Thema Wahlbündelung ist Vehrkamp zufolge eines der wenigen Mittel, das die Wahlbeteiligung substantiell erhöhen kann. Wahlbündelung kam am Rande bereits in der zehnten Sitzung vor, im Zusammenhang mit der Verlängerung der Legislaturperiode. Die Verbindung beider Themen wurde in dieser Sitzung von Prof. Pukelsheim nochmals hervorgehoben, der davor warnte, dass es bei einer vertikalen Wahlbündelung (gleicher Wahltag verschiedener politischer Ebenen) zu einer Verlängerung der Legislaturperiode für den Bundestag von vier auf fünf Jahre kommen könnte, da fünf Jahre bei den Ländern der Standard geworden ist. Eine kürzere Wahlperiode auf Bundesebene hält Prof. Pukelsheim aufgrund der weitreichenderen Konsequenzen, die Bundespolitik mit sich bringt, für geboten.

    Prof. Behnke und Frau Breymaier halten eine vertikale Wahlbündelung ebenfalls für kontraproduktiv, da die Landtagswahlen dadurch faktisch an Qualität verlieren; bei simultan stattfindenden Wahlen käme der wichtigeren Bundestagswahl viel mehr Gewicht, wodurch die Landtagswahl thematisch an den Rand des öffentlichen Diskurs verschwinden. Es ist bereits zu beobachten, dass Landtagswahlen als Stimmungstests für die Bundespolitik herhalten müssen. Sowohl vertikale als auch horizontale Wahlbündelungen würden diese Problematik nur verschärfen. Letzteres bezeichnet die Bündelung von Wahlterminen innerhalb einer politischen Ebene, bspw. der Landtagswahlen. Da es um bundespolitische Maßnahmen in der Kommission geht, wurde diese Variante allerdings größtenteils außen vor gelassen.

    Ein  weiterer Einwand gegen Wahlbündelung nimmt sich den föderalen Charakter des Bundes als Argument. Eine Wahlbündelung homogenisiert den Wahlprozess und stellt deswegen einen Einschnitt in die Eigenständigkeit der Länder dar. Zu guter Letzt wird eine Wahlbündelung praktisch gar nicht möglich sein, da aufgrund von Neuwahlen die angesetzten Legislaturperioden vorzeitig beendet werden können.

  • Aufwertung des Wahltags und des Wahlorts:

    Bei der Aufwertung des Wahltags und Wahlorts geht es um die Frage, inwiefern man die Wahlbeteiligung durch Maßnahmen beim Wahlgang erhöhen kann. In Deutschland wird der Verfassung nach an einem Sonntag gewählt, Hennig-Wellsow wirft diesbezüglich ein, ob es nicht den heutigen Umständen, wo viele Dienstleistungen auch Sonntags angeboten werden, geboten ist, von einem Wahltag abzurücken und vielmehr an mehreren Tagen den Urnengang zu ermöglichen. Dem entgegen steht das im Grundgesetz vertretene Leitbild der Wahl, dass an einem Tag gewählt wird. Sollte es statt eines Wahltages mehrere oder gleich einen Wahlzeitraum (bspw. eine Woche) geben, müsste das Grundgesetz entsprechend geändert werden, so Prof. Mellinghof.

    In Bezug auf den Wahlort wirft Prof. Pukelsheim ein, ob der analoge Urnengang noch zeitgemäß ist oder ob eine Digitalisierung des Wahlprozesses nicht die Zukunft ist. An sich widerspricht niemand seiner These, Einigkeit ob, dies aber gegenwärtig bereits möglich ist, herrscht nicht. Das große Problem ist nämlich, dass die garantierte Einhaltung der Wahlrechtsgrundsätze aus Sicht vieler Sachverständigen im Digitalen noch nicht gegeben ist –ein Argument, dass bei der Briefwahl wieder auftauchen wird.

    Die Digitalisierung des Wahlprozess könnte sich stattdessen auf Aspekte der Wahl fokussieren, die nichts mit der unmittelbaren Stimmenabgabe zu tun haben, wie bspw. der Auswahl des Wahllokals.

  • Steigender Briefwahlanteil

    In den letzten Jahren wurde ein Anstieg der Briefwahl verzeichnet, der zuletzt der Corona-Pandemie geschuldet war; bei der letzten Bundestagswahl kam die Briefwahlquote auf 47,3%. Diese von allen als unabänderlich beschriebene Entwicklung stößt bei manchen aber auch auf gemischte Gefühle. So sei mit der Briefwahl weniger Wahlsicherheit garantiert als mit der Urnenwahl, dafür werden mehr Bürger angesprochen, an der Wahl teilzunehmen. Maßnahmen zur Stärkung der Briefwahl und dadurch zur Erhöhung der Wahlbeteiligung könnten darin bestehen, Briefwahlunterlagen automatisch mit der Wahlbenachrichtigung zu verschicken. Während das Bundesverfassungsgericht vor dem Prinzip der Wahlgleichheit die Briefwahl als verfassungskonform betrachtet, um stärkere Inklusion beim Wahlprozess zu erzielen, sieht Prof. Mellinghof keine juristische Grundlage, die Briefwahl weiter zu fördern. Im Grundgesetz bleibe die Urnenwahl weiterhin das Hauptmittel der Stimmenabgabe.

  • Auslandswahlrecht:

    In der Debatte zum Wahlrecht für im Ausland lebende Deutsche ging es vor allem darum, wie Deutsche im Ausland wählen dürfen, damit deren Wahlbeteiligung steigt, nicht wer zu dieser Gruppe gehören soll. Das aktuelle Länderwahlrecht widerspreche der aktuellen Realität, dass der Umzug ins Ausland nicht mit einem "Bruch mit Deutschland" einhergeht, sondern lediglich eine oft temporäre Angelegenheit  der Bundesbürger ist, die Gebrauch von der Freizügigkeit in der EU machen.

    Große Hürden für eine Reform sind die unterschiedlichen Bedingungen von Land zu Land. Beispielsweise können die deutschen Botschaften, die in der Argumentation vieler einer zentralere Rolle spielen sollen, nur als Wahllkokale benutzt werden, wenn das Gastgeberland dem auch zustimmt. Letzten Endes wird die Digitalisierung die Voraussetzung für die genannten Vorhaben sein. Diese Notwenigkeit sehen Prof. Vehrkamp und Prof. Grzeszick als Chance, die oben genannten Reformvorschläge im kleineren Rahmen umzusetzen, das Wahlrecht für im Ausland lebende Deutsche also zum Versuchslabor für das allgemeine Wahlrecht zu gestalten.

Eine lange Diskussion war auf Grundlage der Vielfalt an Themen nicht in dem gleichen Ausmaß möglich wie bei dem Thema Parität. Von einzelnen Auseinandersetzungen zwischen Albrecht Glaser und anderen Mitgliedern der Kommission abgesehen gibt es keine weiteren nennenswerten Diskussionen während der Kommissionssitzung.


 

Donnerstag, 13.10.2022: Parität II

Die Meinungsverschiedenheiten in der Kommission haben sich auf der 12. und für das Thema Parität vorläufig letzten Sitzung nicht auflösen können. Trotz ausbleibendem Konsens konnte dieses Mal allerdings eine produktivere Atmosphäre geschaffen werden. Auf der einen Seite steht weiterhin das Lager, dass der Auffassung ist, staatlich festgelegte und juristisch bindende Quoten seien verfassungswidrig, während die andere Seite eben jener Argumentation widersprechend und Quoten als einzig wirksames Mittel gegen die Ungleichbehandlung von Mann und Frau erachten. Prof. Schauws geht sogar so weit, die ungleiche Repräsentation als verfassungswidrig zu erklären. Wie im letzten Eintrag bereits erklärt liegen den Argumentationen unterschiedliche Demokratieverständnisse vor, die Laskowski in ihrer Stellungnahme Parlamentarismus und Volksvertretung nennen. Während ersteres seinen Ursprung im 18. und 19 Jahrhundert fand, als das ganze Volk von alten gut situierten Männern repräsentiert wurde, weil das Volk in jedem Bürger innewohnte, begann die Idee der Volksvertretung erst Anfang des 20. Jahrhunderts, die auf die Inklusion der gesamten Bevölkerung setzt, wozu eben auch zu 50% die Frauen gehören.

In seiner Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht bislang keine Entscheidung getroffen, welchem Verständnis Parität sich unterordnen muss. Zwar gab es dazu Bedenken, inwiefern sich Quotenregelungen nur für Frauen legitimieren. Zumindest alle Geschlechter, also auch alle Diverse, müssten in der Theorie ebenfalls über eine Quote vertreten sein. Zudem gibt es weitere heterogene Gruppen in der Gesellschaft, die anhand Einkommens- oder Vermögensunterschiede definiert werden können, so Prof. Grzreszick. Die „Verkleinerung des Elektorats“ sieht Prof. Laskowski dagegen gar nicht als Problem per se, sondern als Chance zu einem neuen Repräsentationsverständnis.

  • Soft Law vs. Hard Law

    Prof. von Achenbach ähnelt Prof. Laskowski in ihrer Argumentation; aus ihrer Sicht sollen Paritätsvorgaben der Garant kulturellen Wandels sein. Diese Vorgaben können auf ganz unterschiedliche Art und Weise erfolgen. Einerseits hält sie ein Paritätsgesetz mit Quotenregelungen für verfassungskonform und politisch wünschenswert. Andererseits sieht sie auch in dem Ansatz von Dr. Gloßner und Schmahl Potential: Gloßner schlug einen Parteienkodex vor, den Schmahl um eine gesetzliche Befassungspflicht erweitern wollte. Von Achenbach geht in ihrem Vorschlag noch einen Schritt weiter, indem sie fordert, dass Parteien transparent und im gesellschaftlichen Diskurs präsent eine Frauenquote als Ziel setzen, sowie Rechenschaft ablegen müssen, ob sie die Quote erreicht haben. Diese würde den kulturellen Anstoßprozess verstärken. Die Vorschläge aller drei Sachverständigen knüpfen an die letzte Sitzung bereits eingebrachte Idee an, Parität für Parteien wirtschaftlich zu gestalten.

    Es gibt allerdings auch in dieser Runde einen Teil der Abgeordneten und Sachverständigen, die diese Konzepte für wirkungslos betrachten. Ausschlaggebend hierbei seien die Erfahrungen in der Wirtschaft. In der Kommission ist in dieser Sitzung dadurch eine Debatte entbrannt, inwiefern Dynamiken in der Wirtschaft mit der Politik zu vergleichen sind. Prof. Grzeszick und Dr. Gloßner halten der Kritik von Prof. Laskowski und Frau Ferner entgegen, dass Softlaw in der Politik ein viel wirksamere Eigendynamik besitzt als in der Wirtschaft, da bei einer Missachtung oft die Sanktionen höher sind; der Koalitionsvertrag wird hierbei als Beispiel genannt.

Am Ende der letzten Kommissionssitzung zum Thema Parität hat sich weiterhin keine Mehrheit für ein Quotenregelung abgezeichnet, vor allem weil mit der FDP ein Regierungspartner zum Gegner einer solchen Regelung gehört. Für mehr Akzeptanz, auch weil es der geringere Nenner ist, konnten die Vorschläge von Dr. Gloßner, Prof. Schmahl und Prof. von Achenbach sorgen. Es ist damit zu erwarten, dass die Kommission eher mildere Paritätsregelungen fordern wird.


 

Montag, 29.09.2022: Parität I

Auf der elften Sitzung der Wahlrechtskommission wurde zum ersten Mal über paritätische Maßnahmen diskutiert, die den Frauenanteil im Bundestag steigern sollen, der momentan bei 34,8% liegt. Dieser von vielen als unzumutbar betrachte Zustand, da Frauen die leichte Mehrheit in der Bevölkerung stellen, deckt sich mit dem nahezu fraktionsübergreifenden Konsens, dass Reformbedarf herrscht. So werden bspw. die Änderung des Abgeordnetengesetzes vorgeschlagen, um das Mandat familien- und damit frauenfreundlicher zu gestalten, oder die Reform des Mutterschutzes, damit die Last der Familie weniger auf den Schultern der Frauen liegt. Großer Widerstand regt sich dabei nicht, wahrscheinlich deshalb, weil sie von jedem Teilnehmer allenfalls als flankierende Maßnahmen verstanden werden und nicht in der Lage sind, das eigentliche Problem zu lösen.

Zudem knüpfen die Änderungen an der Wurzel des Problems an, nämlich an der strukturellen Benachteiligung. Strukturell, da Frauen vor dem Gesetz dem Mann gleich gestellt sind, faktisch aber historisch und sozial gewachsener Diskriminierung ausgesetzt sind, die mitunter nicht einmal gewollt ist. Dem zuwider steht das Gleichheitsgebot aus Artikel 3 im Grundgesetz, demnach beide Geschlechter vor dem Gesetze gleichgestellt sind. Allerdings werfen Sachverständige wie Grzeszick und Gloßner ein, dass dieses Gebot juristisch rein formal betrachtet werden müsse; strukturelle Diskriminierung verstoße also nicht gegen formale Gleichberechtigung. Letzteres könne dadurch auch nicht die strukturelle Diskrimminierung kompensieren wie dies durch die Einführung verbindlicher Frauenquoten der Fall wäre, also dem Zuordnen von Sitzen in Kontingente anhand eines, in dem Fall, Geschlechterschlüssels, der vorsieht, dass beide Geschlechter zu 50% im Bundestag vertreten sind, um die Bevölkerung besser abzubilden.

Was das eine Lager als Gleichberechtigung tituliert, kritisiert das andere als Ergebnisgleichheit: unabhängig vom Wählerwillen bestünde das Parlament nämlich immer zu 50% aus beiden Geschlechtern bestehen. Ob dies mit den Grundprinzipien der Demokratie vereinbar ist, ist für die Gegner von Kontingenten zweifelhaft. Dazu muss angemerkt werden, dass ein Verteilerschlüssel im Bundestag bereits herrscht. Es gelten regionalen Kontingente um dafür zu sorgen, dass die Abgeordneten, die nicht über Direktmandate gewählt wurden, gleichmäßig verteilt über die Landeslisten in den Bundestag einziehen. Dennoch wird als Gegenargument für Quoten das Demokratieverständnis genannt, demzufolge die Abgeordneten Vertreter des ganzes Volkes sind und nicht einer (geschlechtsspezifischen) Gruppe.

  • Maßnahmen:

    Die Hauptdiskussionspunkte in der Kommissionssitzung sind, inwiefern strukturelle Diskriminierung durch staatlichen Maßnahmen aufgrund des Gleichheitsgebot aus Artikel 3 des Grundgesetzes kompensiert können. Mit Maßnahmen ist ein ganzes Bündel an Vorschlägen gemeint, die sich auf die Änderung des Wahlrechts beziehen und in die zwei Wahlstimmen unterteilt werden können. Beim Direktmandat werden zwei Modelle angesprochen: das Tandem-Modell sieht vor, dass Frauen und Männer von Parteien gemeinsam aufgestellt und nur beide zusammen gewählt werden können; das Duo-Modell sieht zwar auch vor, dass sowohl Mann und Frau in einem Wahlkreis aufgestellt werden, diese aber getrennt voneinander kandidieren, sodass die beiden Sieger nicht aus der gleichen Partei stammen müssen. Damit sich die Anzahl der Direktmandate nicht verdoppelt, müsste die Anzahl der Wahlkreise halbiert werden, was Kritikern zufolge wiederum zu einer Entfremdung zwischen Bürgern und Direktmandatsträgern führen kann. Um einer Reduzierung der Wahlkreise zuvorzukommen, schlägt Ferner einen Kappungsmechanismus ähnlich wie er im Ampelentwurf zur Reform des Wahlrechts bereits existiert: Direktmandate werden nur zugeteilt, wenn der Unterschied zwischen den Geschlechtern nicht mehr als eins beträgt.

    Das Wahlrechtsmodell der Ampel kommt einem paritätischen Bundestag auf einer anderen Ebene gelegen: es stärkt die Zweitstimme gegenüber der Erststimme, folglich die Verhältniswahl gegenüber der Mehrheitswahl. In Parlamenten mit reiner Verhältniswahl ist empirisch begelgt, dass Parität häufiger erreicht wird. Erkennbar wird dies bereits in Deutschland anhand der Parteilisten, über die überproportional viele weibliche Abgeordnete in den Bundestag ziehen, während das männerdominierte Direktmandat ein Hauptgrund für die ausbleibende Parität darstellt. Zudem könnte die Zweitstimme zukünftig alterierend aufgebaut sein, in der sich Frauen und Männer abwechseln müssen.

    Aus dem Lager der Gegner eines Paritätsgesetzes wird stattdessen Softlaw favorisiert, ein parteiübergreifender Kodex, der mehr Teilhabe für Frauen fordert und in seiner Ausgestaltung variieren kann. Eine Partei, die gegen diesen Kodex verstoße, wäre öffentlichen Druck und einem Wettbewerbsnachteil ausgesetzt. Es lohne sich diesem Verständnis nach also für Parität in der Partei zu sorgen. Für viele Kommissionsmitglieder stellt sich bei einem Kodex allerdings die Frage, wie effektiv er ist. Ähnliche Gesetze in der Wirtschaft haben bewiesen, dass solche Softlaw-Maßnahmen vor allem dazu führten, dass Hardlaw verhindert wurde.

Am Ende ihrer Sitzung bleibt die Kommission in zwei Lager gespalten. Während das eine Lager glaubt, Paritätsgesetze wären verfassungswidrig aufgrund ihres suspensiven Eingriffes in das Wahlrecht, glaubt die andere Hälfte, dass es sich dabei lediglich um die Kompensation bereits bestehender Missstände handelt. Diese verschiedenen Perspektiven scheinen bislang nicht vereinbar.


 

Montag, 22.09.2022: Verlängerung der Legislaturperiode, Amts- und Mandatszeiten

Auf der zehnten Sitzung der Wahlrechtskommission wurden wie im Zeitplan für das zweite Halbjahr 2022 bereits vermerkt, die Themen Verlängerung der Legislaturperiode, Absenkung des Wahlalters, Begrenzung der Amtszeiten sowie die Bündelung von Wahlterminen besprochen. Zu einer finalen Abstimmung in diesen Themen kam es noch nicht, doch ist bereits erkennbar, dass das erste Meinungsbild von Thema zu Thema sehr unterschiedlich ist. Während es für die Wahlbündelung und die Begrenzung der Amtszeiten im Generellen eine Absage gibt, sprechen sich viele für eine Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre aus. Die Herabsenkung des Wahlalters wird am kontroversten diskutiert, mit der Union und Afd in der Opposition. Die Regierungsfraktionen sind zwar mehrheitlich dafür, allerdings braucht es für die Herabsenkung des Wahlalters Stimmen aus der Opposition, um mit einer Zweidrittelmehrheit eine Grundgesetzänderung zu bewirken.


 

Mittwoch, 31.08.2022: Reaktionen der Parteien

Am Folgetag werden die Differenzen der Parteien in den Pressemitteilungen der Parteien deutlich. Ansgar Heveling (CDU) und Nina Warken (CDU) begründen die Opposition der Union mit den verfassungsrechtlichen Bedenken, die eine Zweitstimmendeckung mit sich bringen würde. Kontraproduktiv sei die bereits oft beanstandete Arbeitsweise der Regierungskoalition, die die konsensgeprägte Atmosphäre unterminiere. Sebastian Hartmann (SPD) unterstellt der Union dagegen eine Verweigerungshaltung. Das favorisierte „echte“ Zwei-Stimmenmodell, von dem die Unionsparteien am meisten profitieren würden, unterstreiche, dass die Union nur an der Umsetzung ihrer eigenen Interessen gelegen ist.

Zwar arbeitet die Kommission an ihrem Bericht bis Juli 2023, allerdings verspricht Hartmann bereits, dass es keine Wahlkreisverringerung von 299 auf 280 geben wird. Letzteres hatte die Reform der Großen Koalition für Januar 2024 gesetzlich vorgeschrieben. Um dies zu verhindern, muss bereits vor Abschluss der Kommissionsarbeit ein neues Wahlrechtsgesetz im Bundestag verabschiedet werden, da die Änderung nur für die nächste Wahl angewendet werden darf, wenn es mindestens ein Jahr vor dem Wahltermin verabschiedet wurde.


 

Dienstag, 30.08.2022: Zwischenbericht

Auf der neunten Sitzung der Kommission wird der Zwischenbericht von der Mehrheit der Kommissionsmitglieder mit 17 Ja-Stimmen verabschiedet. Es gibt eine Gegenstimme und fünf Enthaltungen. Der Zwischenbericht greift die wesentlichen Beschlüsse des Eckpunktepapiers auf, welche im Detail unten bereits erklärt wurden. Der „Entwurf der Ampelkoalition“ sowie die Herabsetzung des Wahlalters werden offiziell empfohlen.

Trotz der überwältigenden Mehrheit dafür ist die Kommission nach wie vor zerstritten. Verfechter des „echten“ Zwei-Stimmenmodells (das „echt“ muss per Beschluss nun in Anführungszeichen gesetzt werden) beanstanden nach wie vor die Verfassungskonformität des Ampelmodells. Die Kritik kommt vor allem von der Union und den von ihnen eingesetzten Sachverständigen. Die zahlreichen Sonderabstimmungen zeugen von den großen Differenzen, die zwischen den Oppositions- und Regierungsfraktionen bestehen bleiben.


 

Donnerstag 18.08.2022: Kritik im Spiegel

Im SPIEGEL beanstandet die Staatsrechtlerin Sophie Schönberger, dass das „Ampelmodell“ verfassungswidrig sei. Sollte man wie im Eckpunktepapier unter Alternative A eine Ersatzstimme einführen, bedeute dies, dass für einen Teil der Wählerschaft zwei Stimmen gelten, nämlich Erst- und Ersatzstimme. Sollte immer noch keine kandidierende Person ein Mandat erhalten, weil beide ein Überhang schaffen würden, bräuchte es einen erneuten Wahlgang. Dies und im Allgemeinen der Gebrauch einer Ersatzstimme, deren Einsatz bedingt erfolgt, würde das Wahlsystem weiter verkomplizieren und für Teile der Bevölkerung unzugänglicher machen. Alternative B, also die Vergabe des Direktmandats an den Kandidaten mit den zweit meisten Stimmen hält sie für noch problematisch, da eine Person mit weniger Stimmen als die Konkurrenz die Wahl gewinnen könne. Für verfassungsrechtlich unbedenklicher hält sie das Grabenwahlsystem der Unionsfraktionen. Dies sei aber politisch fatal, da es die Unionsparteien und die SPD massiv begünstige. Den Parteien gehe es vor allem darum, die eigenen Wahlchancen nicht zu schmälern.


 

Montag 25.07.2022: Zwischenbilanz der Vorsitzenden

Die Vorsitzenden der Wahlrechtskommission ziehen eine positive Zwischenbilanz und kündigen einen Zwischenbericht an. Themen, die diskutiert wurden, waren die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre, Parität, sowie die Verkleinerung des Bundestages. Nach der Sommerpause stehen folgende Themen an:

  • Parität im Bundestag
  • Verlängerung der Wahlperiode
  • Überprüfung der Wahlvorgänge auf ihre Fehleranfälligkeit
  • Digitalisierung der Parlamentsarbeit

Kritisch äußert sich Warken in Bezug auf den Ampelvorstoß zur Verkleinerung des Bundestages bevor sich die Kommission parteiübergreifend auf einen Entwurf einigen konnte, wodurch sich die konsensgeprägte Arbeit innerhalb der Kommission kompromittiert wurde.


 

Donnerstag 07.07.2022: Eckpunktepapier

Die Kommission möchte ihren Zwischenbericht Ende August veröffentlichen. Vorab wurde dafür bereits ein Eckpunktepapier in der Kommission verabschiedet in dem die wesentlichsten Vorschläge der Kommission bereits vorhanden sind. Auf Grund der Meinungsverschiedenheiten ist der Beschluss umstritten: Die Union stimmt gegen den Bericht, AfD und Linke enthalten sich. Die Regierungsfraktionen verabschieden damit den Bericht ohne Unterstützung der Opposition. Dies macht auch Sinn, denn von den zwei Modellen, die in den letzten Monaten erbittert diskutiert wurden. Letztlich ist nur der Ampelvorschlag enthalten. Der Bericht ist in drei Abschnitte aufgeteilt, der erste befasst sich mit der Verkleinerung des Bundestages, der zweite mit der Herabsenkung des Wahlalters und der dritte mit Parität im Bundestag.

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    Der Vorschlag zur Verkleinerung des Bundestages deckt sich mit dem Bericht vom 19.05.2022. Die dadurch mögliche Nichtzuteilung eines Wahlkreismandates soll aber durch alternative Zuteilungsmechanismen kompensiert werden, auf die sich die Kommission noch nicht geeinigt hat.

    Alternative A bezieht sich auf die Ersatzstimme. Sollte man eine Person bevorzugen, die nicht berücksichtigt werden kann, wird die Ersatzstimme zur Erststimme. Alternative B würde auf die Einführung einer Ersatzstimme verzichten. Dort würde der Wahlkreis der kandidierenden Person zugeteilt, die die meisten Stimmen erzielt, ohne einen Überhang zu generieren (Zweitstimmendeckung). Im Einzelfall könnte das auch die Person mit den drittmeisten Stimmen sein. 

    Alternative A und B halten am Mehrheitswahlrecht für die Zuteilung von Wahlkreismandaten fest. Alternative C und D verwenden andere Personenwahlsysteme.

    In Alternative C haben die Wählenden die Möglichkeit, jeder Person eine Stimme zu geben, um dadurch Auskunft zu geben wer sie nicht vertreten soll.

    Unter Alternative D wird die Präferenzwahl vorgeschlagen, in der die Wählenden die Kandidierenden in eine Reihenfolge bringen. Hierbei handelt es sich um eine integrierte Stichwahl, in der die Kandidierenden mit den wenigsten Erststimmen ausgeschlossen werden und dann die zweite Präferenz zum Tragen kommt. Dies wird so lange wiederholt, bis eine kandidierende Person mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält. Ein Hauptnachteil dieses Wahlsystems ist, dass die Stimmenabgabe für die präferierte Person im ungünstigsten Fall dazu führen kann, dass diese die Wahl verliert. Dieses Paradoxon führt 

    mitunter dazu, dass man deswegen die Konkurrenz wählen, damit die eigentlich bevorzugte Person die Wahl gewinnt (strategisches Wählen). Mehr über die Schwachstellen der Integrierten Stichwahl finden Sie hier.

    Als Alternative zur integrierten Stichwahl schlägt der Sachverständige Prof. Dr. Joachim Behnke in seiner Stellungnahme das Condorcet- und das Borda-Wahlverfahren als Alternative zum klassischen Mehrheitswahlrecht vor.

    Keiner dieser Vorschläge weicht vom Kappungsmechanismus ab, der es eigentlichen Wahlverlierern ermöglicht in den Bundestag einzuziehen. Dieser Mechanismus würde der Verhältniswahl den Vorzug geben und das Direktmandat entwerten, so Prof. Dr. Bernd Grzeszick.

    Darauf entgegnet Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim, dass das System der Direktmandate bereits zu einem Legitimationsproblem führe, da ein Direktmandat nicht die Mehrheit der Stimmen in seinem Wahlkreis braucht, um zu gewinnen, sondern lediglich die relativ meisten. Aufgrund dessen erfülle das Direktmandat bereits heute nicht den Anspruch einen personalen Bezug zum Bundestag gestalten. Die Einführung eines Quorums, das erfüllt sein müsste, damit die Wahl als gewonnen gilt, sprich 50 Prozent, würde dazu führen, dass in der großen Mehrheit der Wahlkreise Stichwahlen angesetzt werden müssten. Denn bei der letzten Bundestagswahl wurde nur in einem von 299 Wahlkreisen eine kandidierende Person mit absoluter Mehrheit gewählt. Legitimer sei, in den 35 Wahlkreisen, die Überhang verursachen, das Mandat neu zu vergeben. Zudem führe die aktuellen Wahlkreisaufteilung dazu, dass ein Direktmandat eine unterschiedlich große Anzahl von Menschen repräsentiere. Die Wahlkreise müssten in ihrer Größe deswegen angeglichen werden.

    Eine Verkleinerung der Wahlkreis-Anzahl wird als mögliche Lösung für die Verkleinerung des Bundestags herangezogen. Dies sei jedoch weniger wirksam als die Zweitstimmendeckung. Zudem beanstandet Alexander Hoffmann (CDU/CSU), dass die damit einhergehende Vergrößerung von Wahlkreisen zur Entfremdung zwischen Wählern und Direktmandatsträgern führen wird.

    In Bezug auf die Herabsetzung des Wahlalters stellt die Kommission fest, dass für die Bundestagswahlen eine Verfassungsänderung vonnöten ist, für die Europawahlen allerdings nicht. In beiden Fällen spricht sie die Empfehlung für eine Umsetzung der Senkung aus mit dem Effekt die politische Bildung an Schulen zu verstärken.

    Für das Erreichen der Parität im Bundestag hat die Kommission noch auf keine wesentlichen Eckpunkte einigen können; das liegt daran, dass dieses Thema für das zweite Halbjahr 2022 eingeplant ist.

Donnerstag 23.06.2022: Grabenwahlsystem vs. Ampelmodell

Die Fronten „Entwurf der Ampel-Koalition“ versus „ Grabenwahlsystem“ verhärten sich auf der Sitzung der Kommission. Beide Seiten werfen sich vor, lediglich im Einzelinteresse zu handeln. So favorisieren die Unionsfraktionen das Grabensystem, weil sie aufgrund der unausgeglichenen Überhangmandate eine Mehrheit an Sitze im Bundestag haben könnten, ohne die Mehrheit über die Listenplätze zu erhalten. Die Regierungsfraktionen dagegen unterstützen den Ampel-Entwurf, da dieser vor allem die CDU und CSU, in geringerem Maße auch die SPD, betrifft.


 

Donnerstag 02.06.2022: Der Gegenvorschlag der Union

Auf die Vorstellung des „Ampelmodells“ folgen Alternativen seitens der Sachverständigen.

Prof. Dr. Bernd Grzeszick und Prof. Dr. Stefanie Schmahl stellten das Grabenwahlsystem vor. Der Bundestag besteht demzufolge wie aktuell zu 50 Prozent aus Direktmandaten und 50 Prozent aus Listenmandaten, allerdings ohne dass beide Verfahren miteinander verrechnet werden. So hätten Parteien wie die CDU, CSU und SPD zuzüglich ihrer Listenplätze die Direktmandate. Ein Anschwellen des Bundestages wäre damit nicht möglich, da die Anzahl der Sitze durch Direktmandat und Liste vorab festgelegt wird. Dieses Konzept wurde bereits von Konrad Adenauer eingebracht, der dadurch aber seinen Koalitionspartner FDP verlor, wodurch sich das Grabenwahlsystem nicht durchgesetzt hat. 

Prof. Dr. Silke Ruth Laksowski und Elke Fesner präferieren dagegen ein regionalisiertes und personalisiertes Verhältniswahlrecht. In diesem Modell sollen die Wahllisten nicht mehr über die Bundesländer aufgestellt werden, sondern regional, wodurch man bereits die Zweitstimme personalisieren könnte. Mehrere Kandidaten stellen sich für einen Wahlkreis auf, in dem dann der Wähler per Präferenzstimme angeben kann, welchen Kandidat er wählen möchte. Die Vorschläge sehen vor, dass entweder alle oder ein Teil der Sitze im Bundestag über Regionallisten verteilt werden. Um die Chancengleichheit von Kandidierenden zu gewährleisten, sollen diese Listen paritätisch aufgebaut sein.

Donnerstag 19.05.2022: Der Vorschlag der Ampelregierung

CDU/CSU-Obmann Ansgar Heveling, Sebastian Hartmann (SPD), Till Steffen (Bündnis 90/Die Grünen) und Konstantin Kuhle (FDP) stellen der Kommission einen Vorschlag zur Verkleinerung des Bundestages („Ampelvorschlag“), welcher am Vortag bereits veröffentlich wurde. Innerhalb der Kommission wurde dieses einseitige Vorgehen der Koalitionspartner kritisch begleitet, da es schien als sei die Arbeit der Kommission nun redundant geworden.

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    Nach dem Vorschlag der drei Obleute wird zunächst die Gesamtzahl der Sitze im Verhältnis der von den Parteien bundesweit errungenen Zweitstimmen („Listenstimmen“) verteilt. An der Verteilung nehmen alle Parteien teil, die mindestens fünf Prozent der gültigen Listenstimmen erhalten oder deren Kandidierende in mindestens drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen („Personenstimmen“) erhalten haben. Die Sitzzahl einer Partei auf Landesebene wird nach den von ihr in den Ländern erzielten Listenstimmen ermittelt.

    Ein Wahlkreismandat soll die Person erhalten, die in einem Wahlkreis die meisten durch Listenstimmen gedeckten Personenstimmen vorweisen kann. Stehen einer Partei in einem Bundesland beispielsweise fünf Sitze zu, haben ihre Wahlkreiskandidierenden jedoch in sechs Wahlkreisen die jeweils meisten Personenstimmen erhalten, dann würde der Kandidat/die Kandidatin mit den prozentual wenigsten Personenstimmen die Voraussetzungen nicht erfüllen und das Mandat nicht erhalten. Erlangt eine Partei weniger Wahlkreismandate als ihr nach dem Listenstimmenergebnis zustehen, so sollen ihr die verbleibenden Mandate wie bisher auch über die Liste zugeteilt werden.

    In Wahlkreisen, in denen der Erstplatzierte nicht genügend von Listenstimmen gedeckte Personenstimmen sammeln konnte, sollen die Wählerinnen und Wähler eine zweite Präferenz („Ersatzstimme“) angeben können. Wenn ein Wahlkreismandat nicht an den Erstplatzierten fällt, sollen die Ersatzstimmen derjenigen, deren bevorzugte Erstwahl wegen mangelnder Listenstimmendeckung nicht berücksichtigt werden konnte, zu den Erstpräferenzen der anderen Wähler hinzugezählt werden. Das Wahlkreismandat soll der- oder diejenige erhalten, auf den oder die dann insgesamt die meisten Stimmen im Wahlkreis entfallen, sofern bei ihm oder ihr kein „Überhangfall“ entsteht (Zweitstimmendeckung). Hartmann begründet diese Deckung mit der Tatsache, dass momentan Kandidaten einen Wahlkreis mit weniger als der absoluten Mehrheit gewinnen, ein Kandidat hat einen Wahlkreis sogar mit nur 18,2 Prozent gewonnen. Aufgrund dieser mangelnden Legitimität halte er es für vertretbar die Bestimmung des Direktkandidaten vom Listenergebnis abhängig zu machen.

    Der Unions-Obmann Ansgar Heveling sieht den Vorschlag hingegen kritisch, weil es sein könnte, dass erfolgreiche Wahlkreiskandidierende kein Mandat zugeteilt bekommen. „Wir halten die starke personelle Bindung zum Wähler für erforderlich“, betonte Heveling und fragte, ob nicht alle Wahlkreise, die in ihrer Größe um bis zu 25 Prozent abweichen können, alle gleich groß gestaltet werden müssten, wenn es so ein Modell „der Entziehung von gewonnenen Wahlkreisen“ geben sollte.

    Der Parlamentarische Fraktions-Geschäftsführer der CDU/CSU Thorsten Frei sagt im Deutschlandfunk, die Unionsparteien fordern ein Wahlrecht, das auf starke Wahlkreise setzt – wer in einem Wahlkreis die meisten Stimmen bekommt, müsse diese weiterhin im Bundestag repräsentieren können.

Donnerstag, 22. April 2021: Ankündigung einer Wahlrechtskommission

Donnerstag, 22. April 2021

Der Bundestag stimmt der Einsetzung einer Kommission zur Reform des Bundestagswahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit zu.

Dafür stimmten die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD , dagegen die AFD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.

Die Kommission soll aus neun Mitgliedern des Bundestages bestehen. Themen der Kommission:

  • Begrenzung der Vergrößerung des Deutschen Bundestages
  • gleichberechtigte Repräsentanz von Männern und Frauen
  • Absenkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre
  • Dauer der Legislaturperiode
  • Begrenzung der Amtszeiten des Bundeskanzlers oder Bundeskanzlerin

Bündnis 90/Die Grünen fordern eine Änderung des Bundeswahlgesetzes. Damit soll die Chancengleichheit von Kleinstparteien in der Coronapandemie gewährleistet werden. Laut Urteilen verschiedener Landesverfassungsgerichte müssen die Unterschrifts-Quoren für nicht etablierte Parteien herabgesetzt werden, um die Chancengleichheit zu wahren.

Donnerstag 07.04.2022

Vorsitzende der Kommission: Dr. Johannes Fechner (SPD), Nina Warken (CDU) 

Obleute der Fraktionen: Sebastian Hartmann (SPD), Ansgar Heveling (CDU/CSU), Dr. Till Steffen (Bündnis 90/Die Grünen), Konstantin Kuhle (FDP), Albrecht Glaser (AFD) und Petra Pau (Die Linke)

Ordentliche Mitglieder: Leni Breymaier, Esther Dilcher, Dr. Johannes Fechner, Sebastian Hartmann (alle SPD), Ansgar Heveling, Alexander Hoffmann, Nina Warken (alle CDU/CSU), Ulle Schauws, Dr. Till Steffen (beide Bündnis 90/Die Grünen), Konstantin Kuhle, Stephan Thomae (beide FDP), Albrecht Glaser (AfD) und Petra Pau (Die Linke).

Sachverständige: Prof. Dr. Jelena Achenbach, Prof. Dr. Joachim Behnke, Michael Elicker, die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Elke Ferner, Prof. Dr. Bernd Grzeszick, Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski, Prof. Dr. h. c. Rudolf Mellinghoff, Prof. Dr. Christoph Möllers, Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim, Prof. Dr. Stefanie Schmahl, Prof. Dr. Sophie Schönberger, Dr. Robert Vehrkamp und die frühere Bundestagsabgeordnete der Linken, Halina Wawzyniak.


 

Mittwoch 16.03.2022

Die Einsetzung der Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit wird beschlossen. Die Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben zusammen mit der Mehrheit der Antragsteller und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von CDU/CSU und AfD den Antrag angenommen.

Das Gremium soll sich „auf der Grundlage der Prinzipien der personalisierten Verhältniswahl mit Vorschlägen befassen, die eine effektive Verkleinerung des Bundestages in Richtung der gesetzlichen Regelgröße bewirken und nachhaltig das Anwachsen des Bundestages verhindern“, schreiben die drei Fraktionen in ihrem Antrag.

Weitere Schwerpunkte:

  • Modernisierung der Parlamentsarbeit.

Betrifft u.a. die Fragen, wie die Arbeit des Bundestages „attraktiver, transparenter und unter Nutzung der Möglichkeiten der Digitalisierung effektiver gestaltet werden kann“

wie Anregungen der Bürger besser einfließen können

wie die Wahrnehmung parlamentarischer Rechte gestärkt werden kann

  • Bündelung von Wahlterminen in Bund und Ländern
  • Erleichterung der Ausübung des Wahlrechts für im Ausland lebende Deutsche

Der Abschlussbericht der Kommission soll Mitte des Jahres 2023 vorgelegt werden. Zusammengesetzt sein soll das Gremium aus 13 Abgeordneten und 13 Sachverständigen. Die SPD-Fraktion soll dabei vier Mitglieder, die CDU/CSU drei Mitglieder, die Grünen- und die FDP-Fraktion jeweils zwei und die Fraktionen Afd und Die Linke jeweils ein Mitglied stellen. Herrscht kein Einvernehmen über die Auswahl der Experten, können die Fraktionen jeweils mit gleicher Zahl solche einsetzen.  Die Kommission wählt ihre zwei Vorsitzenden mit einer Zweidrittelmehrheit. Der Vorsitz soll paritätisch besetzt werden.


 

Dienstag 15.03.2022

Zitat aus Drucksache 20/1023, betrifft Bürgerbeteiligung/Bürgerräte:

„Ein weiterer Schwerpunkt der Kommission soll die Modernisierung der Parlamentsarbeit sein. Hierzu gehört die Frage, wie die Arbeit des Deutschen Bundestages attraktiver, transparenter und unter Nutzung der Möglichkeiten der Digitalisierung effektiver gestaltet werden kann, wie Anregungen der Bürgerinnen und Bürger besser einfließen können und wie die Wahrnehmung parlamentarischer Rechte, auch im Hinblick auf internationale Entscheidungsprozesse, gestärkt werden kann.“


 

Donnerstag 19.05.2022


CDU/CSU-Obmann Ansgar Heveling, Sebastian Hartmann (SPD), Till Steffen (Bündnis 90/Die Grünen) und Konstantin Kuhle (FDP) stellen der Kommission einen Vorschlag zur Verkleinerung des Bundestages („Ampelvorschlag“), welcher am Vortag bereits veröffentlich wurde. Innerhalb der Kommission wurde dieses einseitige Vorgehen der Koalitionspartner kritisch begleitet, da es schien als sei die Arbeit der Kommission nun redundant geworden.

  • Weiterlesen

    Nach dem Vorschlag der drei Obleute wird zunächst die Gesamtzahl der Sitze im Verhältnis der von den Parteien bundesweit errungenen Zweitstimmen („Listenstimmen“) verteilt. An der Verteilung nehmen alle Parteien teil, die mindestens fünf Prozent der gültigen Listenstimmen erhalten oder deren Kandidierende in mindestens drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen („Personenstimmen“) erhalten haben. Die Sitzzahl einer Partei auf Landesebene wird nach den von ihr in den Ländern erzielten Listenstimmen ermittelt.

    Ein Wahlkreismandat soll die Person erhalten, die in einem Wahlkreis die meisten durch Listenstimmen gedeckten Personenstimmen vorweisen kann. Stehen einer Partei in einem Bundesland beispielsweise fünf Sitze zu, haben ihre Wahlkreiskandidierenden jedoch in sechs Wahlkreisen die jeweils meisten Personenstimmen erhalten, dann würde der Kandidat/die Kandidatin mit den prozentual wenigsten Personenstimmen die Voraussetzungen nicht erfüllen und das Mandat nicht erhalten. Erlangt eine Partei weniger Wahlkreismandate als ihr nach dem Listenstimmenergebnis zustehen, so sollen ihr die verbleibenden Mandate wie bisher auch über die Liste zugeteilt werden.

    In Wahlkreisen, in denen der Erstplatzierte nicht genügend von Listenstimmen gedeckte Personenstimmen sammeln konnte, sollen die Wählerinnen und Wähler eine zweite Präferenz („Ersatzstimme“) angeben können. Wenn ein Wahlkreismandat nicht an den Erstplatzierten fällt, sollen die Ersatzstimmen derjenigen, deren bevorzugte Erstwahl wegen mangelnder Listenstimmendeckung nicht berücksichtigt werden konnte, zu den Erstpräferenzen der anderen Wähler hinzugezählt werden. Das Wahlkreismandat soll der- oder diejenige erhalten, auf den oder die dann insgesamt die meisten Stimmen im Wahlkreis entfallen, sofern bei ihm oder ihr kein „Überhangfall“ entsteht (Zweitstimmendeckung). Hartmann begründet diese Deckung mit der Tatsache, dass momentan Kandidaten einen Wahlkreis mit weniger als der absoluten Mehrheit gewinnen, ein Kandidat hat einen Wahlkreis sogar mit nur 18,2 Prozent gewonnen. Aufgrund dieser mangelnden Legitimität halte er es für vertretbar die Bestimmung des Direktkandidaten vom Listenergebnis abhängig zu machen.

    Der Unions-Obmann Ansgar Heveling sieht den Vorschlag hingegen kritisch, weil es sein könnte, dass erfolgreiche Wahlkreiskandidierende kein Mandat zugeteilt bekommen. „Wir halten die starke personelle Bindung zum Wähler für erforderlich“, betonte Heveling und fragte, ob nicht alle Wahlkreise, die in ihrer Größe um bis zu 25 Prozent abweichen können, alle gleich groß gestaltet werden müssten, wenn es so ein Modell „der Entziehung von gewonnenen Wahlkreisen“ geben sollte.

    Der Parlamentarische Fraktions-Geschäftsführer der CDU/CSU Thorsten Frei sagt im Deutschlandfunk, die Unionsparteien fordern ein Wahlrecht, das auf starke Wahlkreise setzt – wer in einem Wahlkreis die meisten Stimmen bekommt, müsse diese weiterhin im Bundestag repräsentieren können.

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